Ökonomen sprechen von einer (technischen) Rezession, wenn die Wirtschaftsleistung in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen zurückgeht. Nobelpreisträger Paul Krugman hat für die USA einmal genau nachgezählt: In der Nachkriegszeit (bis 2017) gab es insgesamt 11 Rezessionen. Acht davon sind auf Nachfrageschocks zurückzuführen, drei auf Angebotsschocks.
Mit einem Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage kann die Wirtschaftspolitik in der Regel gut umgehen. Man folgt den bewährten Rezepten von John Maynard Keynes und praktiziert eine Kombination aus expansiver Geld- und Fiskalpolitik, um die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage zu stimulieren und die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen. Als Paradebeispiel gilt die wirtschaftspolitische Reaktion auf die im Gefolge der Finanzkrise entstandene Weltwirtschaftskrise des Jahres 2009. Deutschland hatte nicht zuletzt wegen der energischen wirtschaftspolitischen Antwort auf die Krise bereits 2011 wieder das Vorkrisenniveau beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) erreicht.
Deutlich vertrackter sind Wirtschaftseinbrüche, die wie die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre ihre Ursache auf der Angebotsseite haben. Ein Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Güterangebots lässt nicht nur das BIP schrumpfen, sondern treibt auch die Inflationsrate in die Höhe. In solch einer Situation verbietet sich eine expansive Geld- und Fiskalpolitik, da der Inflationsdruck weiter zunähme. Um die Teuerungsrate (kurzfristig) zu vermindern, könnte die Nachfrage an das verringerte Angebot angepasst werden. Ein weiterer Rückgang der Wirtschaftsleistung wäre jedoch die Folge. Diesen Weg ging Anfang der 1980er Jahre die US-Notenbank, als sie unter ihrem damaligen Präsidenten Paul Volcker den Leitzins auf fast 20 Prozent anhob. Die Inflation konnte zwar besiegt werden, aber um den Preis eines neuerlichen Wirtschaftseinbruchs.
Im Jahr 2023 sind wir in Deutschland mit einer ähnlichen makroökonomischen Situation wie in den 1970er Jahren konfrontiert. Es herrscht Stagflation, also die Kombination einer stagnierenden Wirtschaft gepaart mit hoher Inflation.
Um dauerhaft inflationsfreies Wachstum zu erzeugen, sind im Sinne einer ursachengerechten Therapie Verbesserungen auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft geboten. Ökonomen sprechen von supply-side-economics. Zentrale theoretische Bausteine sind unter anderem
- die Überlegenheit einer langfristig angelegten Ordnungspolitik anstatt kurzfristiger prozesspolitischer Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen. Stabile Rahmenbedingungen erleichtern demnach Investitionsentscheidungen der Privatwirtschaft und beleben die Wirtschaftsaktivitäten. Die Engpässe auf der Angebotsseite werden damit langfristig abgebaut.
- die Gültigkeit der Schumpeter`schen Hypothese von Pionierunternehmen als Motor des Fortschritts. Im Mittelpunkt stehen risikobereite Unternehmen, die durch neue Produkte, Prozesse oder Ressourcen die wirtschaftliche Entwicklung befördern. Durch die damit verbundene „schöpferischen Zerstörung“ werden alte Industrien neuen weichen müssen. Eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik darf diesen Prozess nicht aufhalten.
- eine wachstumsorientierte Finanzpolitik, die nicht zuletzt auf dem Laffer-Theorem fußt, wonach hohe Steuern das wirtschaftliche Geschehen lähmen. Auf der Ausgabenseite des Staates sollte eine Umstrukturierung von Transfer- und Subventionszahlungen hin zu investiven Ausgaben erfolgen. Außerdem sollte die Staatsquote tendenziell sinken.
Nimmt man diese Bausteine als gedankliche Grundlage, so wird schnell klar, was die Vertreter einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik in der gegenwärtigen Lage für notwendig halten. So macht der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Gutachten 2022/23 unter anderem folgende Vorschläge, um Engpässe auf der Angebotsseite der Wirtschaft abzubauen:
- Ausbau der Energieinfrastruktur und beschleunigter Ausbau regenerativer Energiequellen.
- Diversifizierung von Energieimporten und Bezugsquellen kritischer Rohstoffe.
- Bessere Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials und erleichterte Erwerbsmigration, um den Arbeitskräftemangel zu lindern.
Alle diese Maßnahmen – genauso wie Forderungen zur Verbesserung der digitalen Infrastruktur, Reformen im Bildungswesen usw. – haben aber eines gemeinsam: Sie benötigen Zeit, bis sie wirken. Veränderungen auf der Angebotsseite der Wirtschaft sind nicht kurzfristig zu haben. Deshalb sind sie politisch auch so schwer umsetzbar. Eine Regierung, die Reformen auf der Angebotsseite durchführt, stößt häufig auf politischen Widerstand, weil damit zunächst Kosten für die Bürger verbunden sind. Der Nutzen solcher Maßnahmen fällt aber erst in der Zukunft an – und kommt damit im Zweifel erst der nächsten Regierung zu gute. (Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf die Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder verwiesen, die sich auf lange Sicht als sehr nützlich erwiesen, der damaligen Regierung aber das Amt kosteten.) Der Unterschied zu einer nachfrageorientierten Politik ist damit offensichtlich: Zinssenkungen und staatliche Ausgabenprogramme werden in der Bevölkerung eher dankbar aufgenommen und erhöhen damit die Wiederwahlchancen der amtierenden Regierung.
Die Therapie für die angeschlagene deutsche Wirtschaft scheint klar: Die langfristigen Bedingungen für die Produktion und Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen muss verbessert werden vor allem durch angebotsorientierte Maßnahmen im Energiebereich, am Arbeitsmarkt sowie im Steuer- und Sozialsystem. Dem stehen indessen die politischen Rahmenbedingungen entgegen. Damit steht der hiesigen Ökonomie eine schwierige Zeit bevor.
Quelle Titelbild: https://www.focus.de/politik/habeck-vs-lindner-jetzt-zeichnet-sich-der-gewinner-im-grossten-ampel-duell-ab_id_107968278.html, Abgerufen am 06.11.2023 07.58Uhr