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Handels

Das Geschäftsmodell von Tchibo ist in die Jahre gekommen

von Prof. Dr. Carsten Kortum
09.10.2023

Nonfood Aktionsartikel zusammen mit Kaffee zu verkaufen gibt es schon Jahrzehnte. 1973 wurde bei Tchibo mit Tisch-Sets und Frühstücksbrettchen gestartet. Das Konzept mit „jede Woche eine neue Welt“, der Vermarktung in Kleinthemen mit großer Verbundwirkung, ab 1994 funktionierte sehr lange mit guten Profiten. Mit Tchibo-mobil 2004 und dem Verkauf von Versicherungen und Reisen als Vermittlungsgeschäft wurden neue ertragsreiche Felder sukzessive erschlossen. In der Spitze soll das Reisegeschäft hohe 100 Mio. Euro Umsatz erzielt haben.

 

Bei einem geschätzten Nonfood Anteil von 50 Prozent vom Gesamtumsatz von 3,25 Mrd. Euro in 2022 (mit Auslandsanteil von 31%, 2021 mit 3,26 Mrd. Euro knapp drüber) liegt Tchibo etwas über der Hälfte vom Nonfood-Aktionsgeschäft von Lidl in Deutschland (geschätzt 3 Mrd. Euro bei 10% Umsatzanteil).

Es dominieren Textilien bei den beliebtesten Warengruppen. Von den 18 genannten Warengruppen auf der Webseite sind 14 Textilen/Schuhe /Heimtex. Mit 1,06 Mrd. Euro liegt der Umsatz im E-Commerce mit Textilien bei Tchibo auf Platz 10 In D, fast gleichauf mit dem Onlinegiganten Amazon. Somit liegt im Sortiment der Fokus auf der Warengruppe mit einer der höchsten Margen (und Retouren online). 2014 war Tchibo beim Verkauf von Bio-Baumwolle weltweit auf Platz 3. Nachhaltigkeit gehörte früh zur DNA bei Kaffee und Nonfood. Tchibo wurde in diesem Bereich mehrfach ausgezeichnet.

 

Tchibo lebt von der guten Erreichbarkeit und Standortnähe zu den Konsument:innen. Der erste Shop startete 1955. Mit 900 Shops, davon 550 in D, und über 24.200 „Depots“, davon 18.700 in D, und 8.000 mit Nonfood (seit 1987 überwiegend im Lebensmitteleinzelhandel) sowie dem Onlineshop wird eine sehr gute Marktdurchdringung erreicht. Ähnliche Konzepte der Überallverfügbarkeit am POS im LEH befolgen z.B. auch Parsa und Fackelmann erfolgreich. Zusätzlich zur sehr guten Erreichbarkeit wurde in 2022 insgesamt 82,368 Mio. Euro (=2,5% vom Umsatz, Lidl in 2022 nur 1,5%) in Werbung investiert.

1949 begann der Versandhandel, aber erst 1996 auch mit Nonfood. Ab 1997 erfolgte der Eintritt in den Onlinehandel vergleichsweise früh.  Mit 89% erreicht Tchibo bei Nutzern von Onlinemodeshops eine sehr hohe Bekanntheit. Jedoch kaufen nur 16%, es ergibt sich ein nicht unerhebliches Gap von 73%. Die geringen Stückzahlen je Artikel sind bei den hohen Anforderungen an Prüfungen Herausforderung für jeden Lieferanten.

 

Eigentlich hat Tchibo alles richtig gemacht von Internationalisierung bis E-Commerce. Sind das aber nicht die Rezepte des letzten Jahrzehnts?

In Inflationszeiten mit knappen Budgets sind Impulskäufe bei Nonfood stark rückläufig. Alle Anbieter von wöchentlichen Aktionen von Kleinthemen durch die ganze Warenwelt sind davon betroffen. ALDI SÜD scheint mit den Mengen derzeit gut klarzukommen. Lidl in Deutschland kämpft immer noch mit den Einlagerungen der letzten Jahre. Beide haben das Tchibo Konzept früh kopiert, verkaufen aber wesentlich günstiger.

In die Depotflächen wird zwar mit Digitalisierung und neuen Verkaufsträgern investiert. Die Umstellung ist bereits in D bei über 5000 p erfolgt. Die zweistelligen Umsatzzuwächse laut Tchibo lassen sich jedoch anzweifeln. Dann müssten die Shops und nicht umgestellten Flächen schon sehr stark verlieren. Der Gesamtumsatz stagniert ja von 2021 auf 2022. Das Geschäftsmodell selber wird eigentlich nicht angetastet. 2017 gab es schon einmal den Versuch hin zu einem Dauersortiment bei Nonfood ohne Erfolg. Wie geht es weiter?

 

Tchibo schließt in der Folge Filialen, hier in bester Lage in der Fußgängerzone von Lindau mit hoher Frequenz von Rentnern:innen mit Zeit und Geld. Wenn so ein Standort aufgegeben wird, muss das Restrukturierungsprogramm schon sehr einschneidend sein.

Das Reisegeschäft wird Ende Oktober eingestellt mit der Begründung fehlendes Wachstumspotential. Dabei boomen derzeit Kreuzfahrten und Reisen. Der Ausstieg erfolgt also aus anderen Gründen.

11318 Mitarbeiter in 2022, davon 7.100 in D, sind die wichtigste Stütze des Unternehmens. Die Mitarbeiterzahlen gehen jedoch seit 2014 kontinuierlich jedes Jahr zurück.

Das EBIT 2022 belief sich auf minus 167 Mio. Euro nach 176 Mio. Euro plus in 2021 (=Delta von 343 Mio. Euro! yty).  Damit wurde erstmals seit 2004 ein operativer Verlust erzielt. Das höchste EBIT wurde mit 380 Mio. Euro in 2005 erreicht. Tchibo gibt ein Beispiel für eine klare Rückzugsstrategie. Im Markt für Nonfood gibt es dadurch ein weiteres Trading-down. Es ist die Zeit der Billiganbieter ohne schöne Designs, Nachhaltigkeit und Themenwelten.

Action hat in Deutschland gerade seine 500. Filiale eröffnet.

 

 

Quellen (letzter Abruf: 3.10.2023):

https://www.tchibo.com/unternehmen/geschichte

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76481/umfrage/maxingvest-konzern-mitarbeiterzahl-von-tchibo-weltweit-zeitreihe/

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/165604/umfrage/umsatz-der-top-10-textilhaendler-in-deutschland/

https://de.statista.com/prognosen/1176860/bruttowerbeaufwendungen-von-tchibo

https://de.statista.com/prognosen/1329140/tchibo-fashion-onlineshops-markenprofil-in-deutschland

https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/kommentare/kommentar-nonfood-markt-wird-neu-verteilt-173593

https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/nachrichten/ein-vertriebskanal-weniger-exklusiv-tchibo-stellt-verkauf-von-reisen-ein-173210

https://www.lebensmittelzeitung.net/industrie/nachrichten/lz-reportage-tchibo-sieht-rot-173074

https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/nachrichten/bilanz-2022-nonfood-geschaeft-treibt-tchibo-tief-in-die-roten-zahlen-172865

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