Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten: Kriege in der Ukraine und in Nahost, die Welthandelsordnung außer Kraft, eine erratische US-Regierung, demokratische Regierungen in Europa unter wachsendem Druck von Populisten, Frankreich vor einer Staatsschuldenkrise, usw. – und an den Finanzmärkten ist nichts davon zu spüren. Die Aktienmärkte eilen von einem Rekordhoch zum nächsten. Der hiesige Aktienindex DAX hat trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage Deutschlands seit Jahresanfang um mehr als 20 Prozent an Wert zugelegt, der amerikanische S&P 500 um 14 Prozent. Die Renditen von Staatsanleihen sind so niedrig, als sei keine Risikoprämie für Inflation oder Zahlungsausfälle enthalten. Wer sein Geld dem deutschen Staat für 10 Jahre überlässt, erhält mickrige 2,7 Prozent Zinsen, bei US-Staatsanleihen liegt die Verzinsung trotz überbordender Verschuldung bei niedrigen 4 Prozent.
Sind die Finanzmarktteilnehmer blind und taub für die Welt um sie herum? Eine Entwicklung spricht eindeutig dagegen – die des Goldpreises. Allein seit Jahresanfang hat sich der Weltmarktpreis des Edelmetalls um mehr als 40 Prozent erhöht. Für eine Feinunze müssen inzwischen rund 3.800 US-Dollar bezahlt werden. So viel wie niemals zuvor.
Dazu muss man wissen: Gold ist das ultimative Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel. Wenn das Vertrauen in herkömmliches Geld schwindet, schlägt die Stunde des gelben Edelmetalls. Diese Funktion als Zufluchtsort hat Gold schon seit Jahrhunderten inne. Sie basiert nicht zuletzt auf seinen exklusiven Eigenschaften: nicht beliebig vermehrbar, schon kleine Mengen haben einen hohen Wert (eine Feinunze entspricht 31,1 Gramm) guter lagerbar und leicht zu transportieren. Deshalb haben nicht nur Privatleute stets auf Gold gesetzt, wenn die Welt ein ungemütlicher Ort wurde, sondern vor allem auch die Notenbanken. Wurde früher im Goldstandard die umlaufende Geldmenge durch die Goldvorräte der jeweiligen Notenbank bestimmt, können diese heute zwar die Geldmenge praktisch freihändig bestimmen („Fiat Money“). Trotzdem besitzen bis in die Gegenwart alle bedeutenden Notenbanken erhebliche Goldbestände. Sie dienen als psychologischer Anker der jeweiligen Währung und als Zahlungsmittel der letzten Instanz.
Letzteres spielt insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen am Devisenmarkt eine wichtige Rolle. Der US-Dollar ist in seiner Funktion als Weltwährung unter Druck geraten. Sei es, weil USD-Reserven im Sanktionsfall eingefroren werden können, sei es, weil die US-Regierung nicht mehr als zuverlässiger Hüter der amerikanischen Währung angesehen wird. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass viele Notenbanken Ersatz für USD-Reserven suchen und mangels Alternativen beim Gold fündig werden.
Ein erheblicher Teil des rasanten Goldpreisanstiegs dürfte auf die gestiegene Goldnachfrage von Notenbanken weltweit zurückzuführen sein. Gold ist eben kein „barbarisches Relikt“, wie es der berühmte Ökonom John Maynard Keynes einmal bezeichnete. Ganz im Gegenteil. Es scheint eine Renaissance zu erleben.