Die Forderungen an den Staat sind überwältigend: Er solle sich (verstärkt) um den Klimaschutz, die Kindergrundsicherung, die Landesverteidigung, die Digitalisierung, den Fachkräftemangel, die Ausbildung der Kinder und die Unterbringung von Flüchtlingen kümmern. Diese Liste ließe sich noch (fast beliebig) fortsetzen. Es ist daher hilfreich, sich noch einmal darüber klar zu werden, was aus ökonomischer Sicht eigentlich die Kernaufgaben des Staates sind.
Im Vergleich zu Aktivitäten auf Märkten, die freiwillig und ohne Zwang erfolgen, sind mit staatlichen Aktivitäten stets Einschränkungen der individuellen Freiheit verbunden. Der Staat zwingt die Bürger zu Steuerzahlungen, auch wenn sie die damit finanzierten öffentlichen Leistungen unter Umständen gar nicht wollen oder nicht in Anspruch nehmen. Der Staat erlässt Regeln und Bestimmungen (z.B. das Aus für Verbrennungsmotoren in Autos ab 2035, kein Einbau von Gasheizungen mehr, usw.), die den Handlungsspielraum des Einzelnen begrenzen. Diese Beschränkungen der persönlichen Freiheit müssen in einer freien Gesellschaft jedoch gut begründet werden.
Die Theorie der Wirtschaftspolitik liefert mehrere Begründungen für die Zulässigkeit solcher Staatseingriffe:
- Bereitstellung öffentliche Güter: Im Gegensatz zu privaten Gütern weisen öffentliche Güter Eigenschaften auf, die eine Bereitstellung durch den Markt von vorneherein erschweren oder gar verhindern. In erster Linie geht es hierbei um die unzureichende Ausschließbarkeit von solchen Individuen, die sich nicht freiwillig an der Finanzierung oder Bereitstellung beteiligen wollen(Trittbrettfahrerproblematik). Nur der Staat kann hier mit seinen Zwangsmitteln eine ausreichende Bereitstellung dieser in den Augen der Mehrheit nützlichen Güter gewährleisten. Öffentliche Güter im klassischen Sinne sind damit beispielsweise die innere und äußere Sicherheit, für die Institutionen wie die Polizei, das Justizwesen und die Bundeswehr verantwortlich sind.
- Externalitäten: Diese liegen vor, wenn von Marktaktivitäten Drittwirkungen ausgehen, die im Kalkül des Verursachers nicht berücksichtigt werden. Diese können nützlich sein (positive externe Effekte wie beim Impfschutz), vielfach aber auch schädlich (negative externe Effekte wie bei umweltschädlichen Emissionen). Für letzteres ist der menschengemachte Klimawandel durch den Ausstoß von CO2 das prominenteste Beispiel. Klimaschutz- und Umweltpolitik sind damit unzweideutig öffentliche Aufgaben. Allerdings ist damit noch nichts darüber ausgesagt, mit welchen Mitteln ökologische Ziele effizient erreicht werden. Die meisten Ökonomen bevorzugen speziell in der Klimapolitik marktwirtschaftliche Instrumente (Abgaben, Emissionshandel) gegenüber dem Ordnungsrecht (Verbote), da erstere nicht nur ökonomisch effizienter sind, sondern auch weniger in die individuelle Freiheit eingreifen.
Die Bereitstellung öffentlicher Güter und die Korrektur externer Effekte – in der Fachsprache werden beide auch unter dem Begriff Allokationspolitik zusammengefasst – fallen unzweideutig in den Aufgabenbereich des Staates. Selbst ultraliberale Marktökonomen dürften hier nicht widersprechen. Anders sieht es mit den beiden anderen Politikfeldern aus, um die sich der moderne Staat heute intensiv kümmert.
Da ist zum einen die Konjunkturpolitik, die seit den Arbeiten von Keynes von staatlicher Seite betrieben wird. Zwar herrscht unter Ökonomen weitgehend Einvernehmen darüber, dass in „echten“ Wirtschaftskrisen (wie der Finanzkrise 2008 oder der Coronakrise 2020/21) fiskal- und geldpolitische Eingriffe notwendig sind. Der Versuch einer dauernden Feinsteuerung der Wirtschaft wird wegen der negativen Begleiterscheinungen (u.a. Staatsverschuldung, Inflation, Marktverzerrungen) aber mehrheitlich abgelehnt.
Und da ist zum anderen die Umverteilungs- und Sozialpolitik, auf die inzwischen der Großteil der staatlichen Ausgaben entfällt. Hier gelten jedoch das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit und das Subsidiaritätsprinzip. Ersteres besagt, dass jeder für sein wirtschaftliches Wohlergehen zunächst selbst zu sorgen hat. Wenn ihm das nicht gelingt, ist im Sinne des Subsidiaritätsprinzips das unmittelbare soziale Umfeld (z.B. Ehepartner, Familie) gefragt. Und erst wenn auch von hier keine Unterstützung möglich ist, kommt der Staat letztinstanzlich ins Spiel. Die Praxis zeigt allerdings, dass die öffentliche Hand mittlerweile eine sozialpolitische Allzuständigkeit für sich reklamiert, die vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, verstärkter Migration und gesamtwirtschaftlicher Schwäche an finanzielle Grenzen stößt.
In Zeiten knapper Mittel des Staates (und der Schuldenbremse im Grundgesetz) stehen wir deshalb wieder einmal vor der Frage, wo die Prioritäten bei den öffentlichen Ausgaben liegen sollten. Oder um das klassische VWL-Lehrbuch von Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson zu zitieren: Bei gegebenen Produktionsmöglichkeiten muss man den Konsum eines Gutes (Butter) einschränken, wenn man mehr von einem anderen Gut (Kanonen) haben möchten. Bezogen auf den Staatsetat hieße das, dass die Verfolgung der originären und regelmäßig nicht delegierbaren Staatsaufgaben wie Landesverteidigung (2-Prozent der NATO!), öffentliche Infrastruktur, Bildung oder Klimaschutz nicht ohne Einschnitte im Sozial- und Umverteilungsbereich möglich ist.
Vor diesem Hintergrund dürfte die laufende Woche spannend werden. In der Bundespolitik dreht sich im Moment alles darum, wie der Staat angesichts der andauernden Stagnation die Wirtschaft wieder flott machen kann. Die Konzepte der Koalitionspartner in der Ampelregierung gehen hier diametral auseinander.
Um die Budgetrestriktion, wonach jeder Euro nur einmal verwendet werden kann, kommt aber niemand herum.