In der Handelsbetriebswirtschaft spricht man von der Store Erosion, der schleichenden Verschlechterung eines Einzelhandelsobjektes. Diese beginnt grundsätzlich am Eröffnungstag. Gründe dafür sind Veralterung der sachlichen Betriebsmittel, Verwässerung des Sortiments, Arbeitshaltung der Mitarbeiter sowie Änderungen des Konsumverhaltens und der Standortkonkurrenz. [1] Bei Galeria hat sich diese Erosion teilweise seit Jahrzehnten fortgesetzt. Das Ergebnis ist in den älteren Filialen auch für die Kunden schon länger deutlich sichtbar. Die Einkaufsstätten entsprechen nicht mehr den Kundenvorstellungen vieler Zielgruppen.
Bei neuen Filialkonzepten im Einzelhandel ist eine schnelle Umsetzung neben den zur Verfügung gestellten Finanzmitteln erfolgsentscheidend. Ein Umbau während der Öffnungszeiten ist immer mit Einschränkungen für die Kunden verbunden. Von daher sind die meisten Handelsunternehmen dazu übergegangen, Objekte bei Modernisierungen temporär zu schließen. Das geht natürlich einher mit Umsatz- und Ertragsausfällen, die durch die geöffneten Filialen ausgeglichen werden müssen. Kaufland, Marktkauf und Globus konnten in der letzten Zeit bei der Umflaggung von ehemaligen Real-Märkten ihre Erfahrungen sammeln/aktualisieren. Die Modernisierung bei Galeria erfolgte bisher auf die drei Konzeptfilialen „Flagship/Schaufenster in die Welt und nach Deutschland“, „Regionale Magneten und „Lokale Foren/ Nachbarschaftsformat“[2]. Um das Momentum bei der Wiedereröffnung auszunutzen, sind diese Umbauten keine kleineren Renovierungen, sondern Komplettumbauten. Hier ist ein Befreiungsschlag sichtbar.
Die Investitionen in Betriebsausstattung wie Ladenbau, Warenpräsentation , Haustechnik und Gastronomie liegen bei Galeria, bei den Immobilen auch bei den Vermietern. Bei letzteren war bisher der Fokus auf Mietreduzierungen (auf 7-11% vom Umsatz in der letzten Pressemitteilung vom 27.4.24[3]). Interessant wären hier Informationen zu Investitionen beider Seiten in diese oft aus den 50er und 60er stammenden Bestandsimmobilien und die neuen Vereinbarungen mit den Vermietern. Seriöse Schätzungen liegen bei im Schnitt 20 Mio. Euro dringendem Investitionsbedarf, bei noch 66 ausstehenden Modernisierungen wären daher weit über 1 Mrd. Euro anzusetzen.
Am Freitag, den 10.5., haben die neuen Eigner zumindest den Betrag von 100 Mio. Euro als Investition in den 2-3 Jahren avisiert. Bisher war hier jede Aussage vermieden worden.[4] Die Signa-Gruppe lag bei einer Zusage von 200 Mio. Euro (eingezahlt in das Stammkapital der GmbH wurden aber lediglich 1 Mio. Euro). Die Summe von 100 Mio. Euro würde nur für kleinere Modernisierungsmaßnahmen oder wenige Komplettumbauten ausreichen. Der Investitionsstau ist einfach zu groß. Die Filialen sind ja jetzt schon profitabel (wobei hier offen ist, wie gerechnet wird? EBIT? EBITDA? Adjusted EBITDA) von daher überwiegt hier die kurzfristige Perspektive. Mittelfristig wird bei weitergehender Store Erosion die Attraktivität der Filialen weiter leiden und die Profitabilität ins wanken kommen.
Nicht nur in die stationären Formate muss investiert werden, sondern auch in Digitalisierung wie den Online-Auftritt, in Loyalitätsprogramme, digitale Werbeformen und die Integration von stationärem und Online-Kanal sowie weiteren innovativen Verkaufskanälen wie Liveshopping-Shows und Plattformen von Dritten wie z.B. Zalando bei Textilien. Sehr relevant sind auch die Investitionen in die Mitarbeiter, in Ausbildung und Weiterqualifizierung. Eine Position, die oft gar nicht genannt wird. Qualifizierte Mitarbeiter sind im Handel der wichtigste Faktor. Diesen ist bei Galeria in der Vergangenheit viel zugemutet worden an Entlassungswellen und Kürzungen, jedoch kaum an Wertschätzung und Invest.
Das wichtigste bei den neuen Konzepten ist die Akzeptanz durch den bisherigen Kundenstamm und die Neugewinnung insbesondere von jüngeren Zielgruppen (vgl. hier die Promotion in Abb.1). Es muss der schwierige Spagat zwischen Tradition und Modernität gelingen, um Kundenfrequenz und Aufenthaltsdauer zu unterstützen. Sortimente, Erlebnisse und Dienstleistungen müssen entsprechend angepasst werden.
Die neuen Eigentümer lassen bisher bei der Zentrierung auf Kunden und Mitarbeiter eine Neuaufstellung vermissen. Ohne diese beiden Stakeholdergruppen wird ein Befreiungsschlag nicht gelingen.
Das Kaufhaus als Betriebstyp ist kein Auslaufmodell, sondern hat noch Chancen und Relevanz. Die Probleme bei Galeria sind firmenindividuell und gelten nicht für alle Händler des Betriebstyps. Breuninger zeigt in Deutschland wie Konzepte zukunftsträchtig ausgerichtet sein können, Corte Inglés in Spanien und Galeries Lafayette in Frankreich. Und in den USA ist Macys ein gutes Beispiel für den Turn-Around eines Kaufhauskonzerns hin zum begehrten Übernahmekandidat durch Investoren. Hier sind Investoren bereit 6,6 Mrd. USD zu bezahlen[5], nicht wie bei Galeria mit einem wahrscheinlich sehr geringem Finanzinvest (Zahlen zum Kaufpreis wurden bisher nicht genannt) der neuen Eigentümer.
Galeria hat am Markt ohne Investitionen der neuen Eigentümer keine Chance. Die avisierten Mittel sind als nicht ausreichend anzusehen.
Titelbild: Galeria Filiale Heilbronn (eigene Aufnahme)
[1] Vgl. BERGER, Sylvia. Ladenverschleiß (store erosion): ein Beitrag zur Theorie des Lebenszyklus von Einzelhandelsgeschäften, 1977.
[2] Vgl. Geschäftsbericht GKK 2022
[3] Vgl. https://www.galeria.de/unternehmen/presse/pressemitteilung-13
[4] Vgl. https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-05/insolvenzverfahren-galeria-eigentuemer-investition-uebernahme
[5] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/nachrichten/us-warenhauskonzern-investoren-erhoehen-uebernahmeangebot-fuer-macys-176454