1. Wie ist die Innenstadt-Entwicklung in Heilbronn einzuschätzen?
Die Entwicklung in der Innenstadt in Heilbronn ist sehr heterogen. Es gibt am Neckarufer eine rege Gastronomieszene mit dem Anker Marra-Haus, einem ehemaligen C&A Kaufhaus und dem Science-Center Experimenta. Das Marra-Haus am Neckar ist ein gutes Beispiel für ein gelungenes Conversionsprojekt. Die Einzelhandelsflächen wurden nicht nur in Gastronomie sondern auch Büros, Wohnungen und ein Kino umgewandelt.
Die Fußgängerzone teilt sich mit der Sülmer-Straße in einen Bereich mit u.a. Schnellimbissangeboten von Döner, Asia-Food bis zu McDonalds sowie Nonfood-Discountern wie Tedi, Euroshop, Zeeman und Nanu Nana. Bei dem Immobilen gibt es teilweise einen sichtbaren Investitionsstau. Aber auch hier gibt es in der Gastronomie und einem REWE Supermarkt höherwertigere Angebote in unmittelbarer Nähe.


Die Fleiner Straße wirkt als zweiter Teil der Fußgängerzone durchweg hochwertiger. Hier haben sich Filialisten wie Douglas, Tchibo, Fielmann und Foot Locker angesiedelt. Das Galeria-Kaufhaus als Anker bleibt geöffnet und ist neben der Stadtgalerie ein Ankerhändler.

Insgesamt sind in der Innenstadt sehr unterschiedliche Zielgruppen anzutreffen, dementsprechend ist das Angebot auch sehr differenziert. Die Innenstadt ist werktags gut frequentiert. Angebot und Nachfrage schein grundsätzlich im Einklang zu sein.
Ein von vielen gewünschtes durchgehend hochwertiges Angebot aus Gastronomie und Einzelhandel wie in Frankfurt oder München ist unrealistisch. Dafür ist die Zielgruppe in einem Oberzentrum wie Heilbronn zu klein. Dieses zeigt auch die Geschäftsaufgabe des Modehauses Palm gegenüber dem Kaufhaus Galeria.
Die Leerstandsquote in der Fußgängerzone entspricht mit geschätzt 10% dem Bild in vergleichbaren Oberzentren. Die Leerstände entstehen durch Betriebsaufgaben von selbstständigen Kaufleuten, durch die Insolvenzen von großen Filialisten wie z.B. Hallhuber und den Umzug in bessere Lagen.



2. Wie attraktiv ist Heilbronn als Einkaufsstadt?
Die Attraktivität wird zu negativ gesehen, wenn die Zahlen für den Einzelhandel näher betrachtet werden. Heilbronn schafft es jährlich über 400 Mio. Kaufkraft aus dem ländlichen Raum anzuziehen. Der Handel hat somit trotz der Nähe zum Großraum Stuttgart und dem Onlinehandel hohe Relevanz. Die Umsätze werden jedoch zum Teil auch in Fachmarktzentren rund um die Innenstadt von Heilbronn verzeichnet mit Baumärkten und Möbelhäusern als Anker. Hier zeigt sich die Planung der letzten Jahrzehnte in den Städten. Eine Entwicklung, die nicht spezifisch für Heilbronn ist.
Der Stadtkreis Heilbronn hat mit 128.650 Einwohner (2023) eine einzelhandelsrelevante Kaufkraft von 1.007 Mrd. Euro. Pro Einwohner liegt der Index bei 102,8 (D=100). Der Umsatz im Stadtkreis liegt höher als die Kaufkraft bei 1.252 Mrd. Euro. Bedingt durch das breite Angebot im Einzelhandel kann Heilbronn als Oberzentrum der Region Heilbronn-Franken bedeutende Umsätze aus den umliegenden Landkreisen generieren. Nur 20,6 % der Kaufkraft in Heilbronn fließen in den Onlinehandel, ins Ausland oder in andere Städte/ Landkreise.[1] In der Differenz gelingt es folglich ca. 450 Mio. Euro Einzelhandelsumsatz aus dem Umland anzuziehen.
Ein großer Teil der Umsätze in der Innenstadt landet im Einkaufszentrum Stadtgalerie der ECE-Gruppe. Die Stadtgalerie wurde am 5.3.2008 eröffnet. Auf 13.000m2 werden mit täglich über 18.000 Besuchern über 400 Mio. Euro Umsatz in 75 Fachgeschäften erzielt.[2] H&M ist von der Fußgängerzone ins Center umgezogen und hat einen Leerstand hinterlassen. Typisch für ein Einkaufszentrum liegt die Aufenthaltsdauer zwischen 30 und 90 Minuten.[3]

Es gibt um das Stadtzentrum angeordnet auch zahlreiche Fachmarktzentren mit einer Agglomeration von Fachmärkten. Dieses durchaus hochwertige Angebot an sich ergänzenden Handelsleistungen außerhalb der Innenstadt ist bedingt durch hohen Flächenbedarf für Verkauf und Parkplätze. Ein gutes Beispiel ist das Zentrum rund um den Ankerhändler Obi an der Etzelstraße mit ergänzendem Handel wie Intersport, dm, REWE,Rofu Kinderland, Takko und Shoe4you. Auch der Autohandel mit seinem konkurrierenden Angebot konzentriert sich an den Ausfallstraßen wie Neckarsulmer Straße und Stuttgarter Straße.
In verschiedenen Stadtteilen zeigt sich oft in Monolagen einen selbstständiger Einzelhandel, welcher von Migranten aus arabischen Ländern, der Türkei (z.B. Topcar) oder Russland betrieben wird und die veränderte Einwohnerstruktur und damit Nachfrage nach spezifischen Produkten widerspiegelt. 54,3% der Einwohner Heilbronns haben einen Migrationshintergrund.[4]

3. Wie ist das Gutachten zu bewerten bzw. auf den Versuch, die Gewerbe- und Gastrostruktur in einer Innenstadt gezielt zu steuern?
Das Gutachten ist nur politisch motiviert. Das Thema wurde bundesweit von den Medien aufgegriffen. Das mögliche Ziel Diskussionen anzuschieben wurde also mit entsprechender Reichweite erreicht. Das Bild der Innenstadt würde sich aufgrund des Bestandsschutzes jedoch nicht in die vom Auftraggeber gewünschte Richtung entwickeln. Wichtig wäre die Umsetzung des bestehenden Masterplans für Heilbronn und die Verbindung der Fußgängerzone mit der belebten Neckarmeile. Hier wären eine größere Umsetzungsgeschwindigkeit und schnellere Konsensfindung in den Gremien in der Stadt wünschenswert.
Das Ansinnen in die Entscheidungen von wirtschaftlichen Akteuren einzugreifen, zeigt schon in Richtung Planwirtschaft. Kommunen sind sicherlich nicht die besseren Unternehmer und sollten sich nicht mit Limitierungen für gewerbliche Mieter und Vermieter, sondern mit Anreizen auseinandersetzen.
Mit einem guten Stadtmarketing werden bereits seit Jahren viele Events in der Innenstadt angeboten und die Aufenthaltsqualität maßgeblich verbessert.[5] Hier setzt die Stadt wichtige Impulse ohne in die Gewerbefreiheit einzugreifen.
4. Welche Alternativen gäbe es, damit das Angebot in den Innenstädten nicht zu einseitig wird?
Die Stadtentwicklung benötigt für eine positive Entwicklung auf jeden Fall die Expertise von Spezialisten mit Erfolgsbilanzen wie z.B. BBE[6]. Dieses Know-How von außen wird benötigt. Auch fehlen oft die Daten und die Trends in den Städten werden falsch eingeschätzt. Die Förderung von Gastronomie und Einzelhandel ist von hoher Komplexität und wird in den Rathäusern unterschätzt. Es gibt für die Innenstadtentwicklung auch umfangreiche Förderprogramme, um die Investitionsstau bei den Immobilien aufzulösen.[7] Meist sind die Innenstädte auf den zweiten Blick auch nicht so einseitig.
5. Wird ein solcher Vorstoß auch in anderen Städten Schule machen?
Das Gutachten ist in seiner Ausrichtung rein politisch und zielt auf eine hohe Reichweite in den Medien. Eine gesunde Innenstadtentwicklung lebt nicht von Verboten, sondern gezielter Förderung. Andere Städte werden eher den Weg der Förderung einschlagen. Ferner werden andere Städte sich die rechtliche Umsetzbarkeit von der Seitenlinie anschauen.

Nach Gläser sind Städte unsere größte Erfindung und machen uns wohlhabender, grüner, gesünder und glücklicher.[8] Dieses kann auch für Heilbronn gelingen. In der Stadt tut sich sehr viel, gerade im Bildungsbereich. Im Dynamikranking ist die Stadt bundesweit auf Platz 15.[9] Das bedeutet allerdings nicht, dass es in der Innenstadt nicht auch ein ausdifferenziertes Angebot im Einzelhandel ergibt. Wichtig ist, Tipping Points nicht zu verpassen und das positive Momentum in der Stadt zu nutzen und zu unterstützen für ein weiteres trading-up an Angeboten.
[1] Vgl. https://www.ihk.de/blueprint/servlet/resource/blob/6009014/da6438623467a3b99a32db8fad3fc1e2/ihk-kaufkraftanalyse-2023-data.pdf
[2] Vgl. https://www.stadtgalerie-heilbronn.de/center/ueber-uns/
[3] Vgl. https://www.google.com/search?q=stadtgalerie+heilbronn&rlz=1C1GCEA_enDE908DE908&oq=stadtgalerie+h&gs_lcrp=EgZjaHJvbWUqDQgAEAAY4wIYsQMYg AQyDQgAEAAY4wIYsQMYgAQyEAgBEC4YrwEYxwEYsQMYgAQyBwgCEAAYgAQyBwgDEAAYgAQyDQgEEC4YrwEYxwEYgAQyDQg FEC4YrwEYxwEYgAQyBwgGEAAYgAQyBwgHEAAYgAQyDQgIEC4YrwEYxwEYgAQyBwgJEAAYgASoAgCwAgA&sourceid=chrome &ie=UTF-8
[4] Vgl. https://www.heilbronn.de/fileadmin/daten/stadtheilbronn/formulare/leben/heilbronn_entdecken/stadtteile/Einwohnerstatisti ken_Heilbronn_und_Stadtteile.pdf
[5] Vgl. https://www.heilbronn.de/tourismus/infos/heilbronn-marketing-gmbh.html
[6] Vgl. https://www.bbe.de/de/leistungen/kommunalberatung/
[7] Vgl. https://wm.baden-wuerttemberg.de/de/service/foerderprogramme-und-aufrufe/liste-foerderprogramme/sofortprogramm-einzelhandel-innenstadt
[8] Vgl. Ewald Gläser, Triumph of the city: How our geatest invention makes us richer, smaretr, greener, helathier und happier, 2012
[9] Vgl. https://www.heilbronn.de/rathaus/aktuelles/details/artikel/heilbronn-bleibt-eine-der-dynamischsten-staedte.html#:~:text=Dynamikranking%3A%20Mit%20Platz%2015%20ist,am%20zweitbesten%20platzierte%20nach% 20Freiburg.