Nach einigen Dekaden mit geringen Preissteigerungsraten ist Inflation bedingt durch disruptive Ereignisse wie Pandemie und Krieg in Europa und Nahost sowie eine sehr expansive Geldpolitik der Notenbanken mit Vehemenz zurück. In den 70er und 80er Jahren lagen die Inflationsraten in den Industrieländern jedoch sehr viel höher als derzeit. Die OECD berichtet von einer globalen Inflationsrate von 9,6% im Juli 2022. Inflation hat dabei vielfältige sichtbare und weniger sichtbare Effekte auf Händler und Konsument:innen. Gerade der Handel ist in der schwierigen Position auszugleichen zwischen auf der einen Seite steigenden Produktionskosten und Großhandelspreisen und auf der anderen Seite Richtung Kund:in Wettbewerbsfähigkeit, Share of Wallet und Kundenloyalität bei Haushaltsbudgetrestriktionen. Die Profitabilität und Rentabilität geraten dabei schnell im Handel unter Druck. Sowohl Haushalte auf der Nachfragerseite und auf der Anbieterseite Produzenten und Händler reagieren mit diversen Mechanismen und Strategien auf die Herausforderungen. Diese lassen sich gruppieren nach strikter Kostenkontrolle, Maßnahmen zu Preis, Sortiment, Loyalität sowie in sehr diskutierte weniger probate Mittel wie Shrinkfaltion, Skimflation und Greedflation.[1] Letztere würden die Situation zu Ungunsten der Konsument:innen gestalten und ausnutzen. Image und Brand sind durch diese kurzfristige Gewinnerzielung mittelfristig gefährdet.
Abb.1: Effekte der Inflation auf das Händler-Ecosystem[2]
Inflation bezeichnet die Veränderungen der Preise für eine bestimmte Periode, üblicherweise im Vergleich mit dem Vorjahr. Der Verbraucherpreisindex ist ein Maß dafür, wie sich die Preise für ein bestimmtes Waren- und Dienstleistungsbündel im Laufe der Zeit ändern. Lebensmittel sind dabei oft ein wesentlicher Bestandteil des Warenkorbs im VPI, da sie zu den grundlegenden Bedürfnissen gehören und einen beträchtlichen Teil der Haushaltsausgaben ausmachen.
Beim Berechnen der Inflationsrate verwenden das stat. Bundesamt einen “Warenkorb“, der rund 700 Güterarten umfasst und sämtliche von privaten Haushalten in Deutschland gekauften Waren und Dienstleistungen repräsentiert. Nahrungsmittel und Getränke haben dabei einen Anteil von 15,4% am Warenkorb, also etwas weniger als 1/6.[3] Mit dieser Gewichtung haben Nahrungsmittel einen nennenswerten Beitrag zur allgemeinen Gesamtinflation (z.B. 1,4%-Punkte in 2022 bei einer allg. Inflation von 6,9%[4]).
Lebensmittel haben oft eine symbolische Bedeutung, da sie grundlegende Bedürfnisse des täglichen Lebens repräsentieren. Wenn Menschen über Inflation nachdenken, neigen sie dazu, sich auf alltägliche Produkte wie Brot, Milch, Käse und andere Grundnahrungsmittel zu konzentrieren, da diese einen wesentlichen Teil ihres täglichen Konsums ausmachen.
Die steigenden Preise für Lebensmittel können sich unmittelbar auf das Budget der Verbraucher auswirken, da sie regelmäßig gekauft werden müssen. Im Gegensatz dazu können langlebigere Güter wie Elektronik oder Haushaltsgeräte seltener gekauft werden, und Veränderungen in ihren Preisen werden möglicherweise nicht so unmittelbar wahrgenommen. Man spricht dann auch von „gefühlter Inflation“.[5]
Im November haben wir nach Daten des Statistischen Bundesamtes mit 3,2% Inflationsrate zu rechnen, bei Lebensmitteln dagegen 5,5%, das sind 2,3%-Prozentpunkte mehr. Wir hatten bei Lebensmitteln im August noch 9,0% bei allgemeiner Inflation von 6,1%. Ein großer Einflussfaktor für den Rückgang sind die sinkenden Preise für Energie wie Heizöl, Diesel und Superbenzin.[6]
Bei einem mittelfristigen Vergleich der Inflation bei Food und der Inflation bei allen Gütern und Dienstleistungen fällt auf das der Turning-Point im Juni 2022 lag. Bis dahin hatten Lebensmittel sogar einen dämpfenden Beitrag zur allgemeinen Inflationsentwicklung. Im März 2023 wurde die höchste Preissteigerungsrate bei Food verzeichnet und auch die höchste Differenz zur allgemeinen Inflation. Im November 2022 erreichte die allgemeine Inflationsrate ihren Höhepunkt. Von einem grundsätzlichen Gleichlauf der beiden Inflationsraten kann somit nicht gesprochen werden.
Abb.2: Inflation bei Food im Vergleich mit der allgemeinen Inflationsrate in den letzten 2 Jahren[7]
Wir haben bei Food sehr unterschiedliche Preisentwicklungen in beide Richtungen, an der Spitze der Preissteigerungen stehen derzeit Olivenöl mit plus 38% aufgrund von Ernteausfällen im Mittelmeerraum, Zucker mit plus 24% und Mehl mit 16%. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Preisreduzierungen bei z.B. Butter mit 27% und Sonnenblumenöl mit 16%.[8] Bei letzterem liegt der Preis jedoch noch weit über denen von 2019. Insofern ergibt sich beim näheren Hinsehen ein sehr differenziertes Bild. Jede:r Konsument:in ist unterschiedlich betroffen abhängig von seinem Kauf- und Ernährungsverhalten.
Auch andere landwirtschaftliche Güter sind stark im Preis gestiegen. Schweinefleisch etwa kostet pro Kilogramm Schlachtgewicht aktuell fast 2,10 Euro.[9] Bis vergangenes Jahr hatte der Preis kaum einmal die 2-Euro-Marke überschritten. Grund hierfür ist ein Rückgang des Angebots, oder anders ausgedrückt: Es gibt viel weniger Schweine als noch vor einigen Jahren. Hier ist der bekannte Schweine-Zyklus immer noch intakt. Ein ähnliches Problem haben die Eier-Produzenten, die immer noch unter den Nachwirkungen der Vogelgrippe-Welle aus dem Vorjahr leidet, die viele Legehennen das Leben kostete – die heute eben fehlen.
Einer der Hauptfaktoren, die die Preise von Lebensmitteln beeinflussen können, sind Angebot und Nachfrage: Wenn die Nachfrage nach Lebensmitteln das Angebot übersteigt, können die Preise steigen. Faktoren wie Veränderungen in den Verbrauchergewohnheiten und Wetterbedingungen beeinflussen das Angebot.
Das Ifo-Institut hat im Rahmen seiner veröffentlichten Konjunkturprognose auch die Faktoren der deutschen Inflationsrate untersucht. Ergebnis: Höhere Preise für Vorleistungen, also zum Beispiel Rohstoffe wie Düngemittel und Zwischenprodukte, erklären rund 70 Prozent der Inflationsrate. Seit den Höchstständen haben sich die Düngemittelpreise wieder um 2/3 reduziert, liegen aber immer noch 20% über 2019.[10]
Extremes Wetter, Dürren, Überschwemmungen oder andere Naturkatastrophen können die Ernteerträge wie z.B. beim Olivenöl beeinträchtigen und das Angebot verringern, was zu höheren Preisen führen kann.[11]
Es gelten bei den wichtigsten Agrarrohstoffen dabei Weltmarktpreise. So ist z.B. der Preis für Zucker an der ICE Terminbörse um 28% gegenüber Vorjahr und um 97% gegenüber von vor 5 Jahren angestiegen. Auch wenn in Deutschland laut Nordzucker eine durchschnittliche Ernte erwartet wird, ist der Angebotsrückgang in Europa bedingt durch niedrigere Ernten im Nachbarland Frankreich durch fehlende Niederschläge. Nach Wegfall der EU-Zuckermarktordnung in 2017 konkurrieren europäische Rübenbauern jetzt mit Zuckerrohr aus Plantagen in Brasilien. Hier ist allerdings die brasilianische Währung angestiegen, was zur Verteuerung beiträgt. Indien dagegen fährt seine Zuckerexporte ähnlich wie in Thailand zurück nach schlechter Ernte. Die Preisveränderungen hängen bei den globalen Rohstoffen von globalen Einflüssen von Klima bis zur Handelspolitik ab. Zucker ist ein ungünstiger Kosten-Multiplikator, da Zucker in sehr vielen Nahrungsmittel enthalten ist von Getränken bis zu Süßwaren. Beim Hersteller Lambertz macht Zucker 30% der Zutaten aus, bei Haribo 45%.[12]
Die restlichen 30% der Inflationsbeitrages gehen auf das Konto von Lohnerhöhungen, wobei hier besonders die starke Mindestlohnerhöhung aus dem Oktober 2022 auf 12.- Euro (die nächste Erhöhung folgt zum 1.1.2024 auf dann 12,41 Euro Brutto[13]) und die Tarifabschlüsse zu Buche schlagen. Die Verhandlungen waren von Warnstreiks in einzelnen Betrieben begleitet worden. Die Entgelte in den Tarifverträgen z.B. in der Süßwarenindustrie sind in den unteren Lohngruppen in NRW um 12-16% angestiegen bei einer Laufzeit von 14 Monaten.[14] Sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Lebensmittelproduktion steigen somit die Personalkosten bei in Deutschland produzierten Lebensmitteln. Auch der Lebensmittelhandel hat mit steigenden Löhnen schon vor dem Abschluss der Tarifverhandlungen reagiert. So zahlen Aldi Nord, Aldi Süd, Lidl und Kaufland proaktiv ab Oktober 2023 im Gleichlauf 5,3% mehr.[15]
Vielleicht noch ein kurzer Ausblick. Ich sehe eine weitere Entspannung und Normalisierung bei der Preisentwicklung. Normalisierung bedeutet eine sinkende Inflation bei Lebensmitteln, aber nicht unter die allgemeine Inflationsrate. Die Energiepreise sind eher weiter fallend, allerdings schlägt die Erhöhung der LKW-Maut zum Jahreswechsel negativ zu Buche. Auch hilft z.B. der starke Euro (5,5% Zuwachs gegenüber dem USD yty) bei den Importpreisen von Bananen, Kakao bis Kaffee. Da es sich bei Lebensmitteln um Naturprodukte handelt, werden Klimaveränderungen immer direkte Auswirkungen haben. Eine nötige Klimaanpassung wird immer zu höheren Kosten führen und langfristig ein nicht zu unterschätzender Kostentreiber darstellen. Die Olivenbäume sind z.B. eigentlich sehr genügsam, haben aber große Probleme mit dem Klimawandel, die Ernten haben sich fast halbiert in den letzten beiden Jahren.
In der Summe müssen wir mit weiter steigenden Preisen bei Lebensmitteln, wenn auch moderater, in den nächsten Jahren rechnen. Die Preise vor 2019 sind Historie. Zunehmen wird auf jeden Fall auch die Unsicherheit der Prognoseerwartungen.[16] Eine robuste Nachfrage nach Lebensmitteln trifft auf ein stark schwankendes Angebot. Auf der Nachfrageseite gibt es global jedes Jahr eine steigende Nachfrage nach Lebensmitteln durch das Bevölkerungswachstum (global plus 0,9%) gerade in Schwellenländern. Die Lagerhaltung der wichtigsten Grundnahrungsmittel wie Reis, Weizen und Mais ist weiter rückläufig von der Tendenz. Bei Weizen ist der Bestand so niedrig wie letztmals 2007.[17]
[1] Vgl. Dekimpe, M. G., & van Heerde, H. J. (2023). Retailing in times of soaring inflation: What we know, what we don’t know, and a research agenda. Journal of Retailing, S.323
[2] Dekimpe, M. G., & van Heerde, H. J. (2023). Retailing in times of soaring inflation: What we know, what we don’t know, and a research agenda. Journal of Retailing, S.324
[3]Vgl.https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/Methoden/Downloads/waegungsschema-2020.pdf?__blob=publicationFile
[4] Vgl. https://www.statistikportal.de/de/inflation
[5] Vgl. Krämer, A., Heuermann, D. F., & Burgartz, T. (2022). Gefühlte Inflation als Bestimmungsgrund der Spar-und Konsumstruktur von Verbrauchern. Wirtschaftsdienst, 102(10), 782-788.
[6] Vgl. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/11/PD23_458_611.html
[7] Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1045/umfrage/inflationsrate-in-deutschland-veraenderung-des-verbraucherpreisindexes-zum-vorjahresmonat/
[8] Vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/Tabellen/top20.html
[9] Vgl. https://www.rvv-verbund.de/preisnotierungen/preistabelle-schlachtschweine.html
[10] Vgl. https://www.agrarheute.com/markt/duengemittel/duengerpreise-brechen-empfindlich-landwirte-wetten-fallende-preise-613845
[11] Vgl. https://handel-dhbw.de/blogeintrag/olivenoel-weniger-oel-steigende-preise-die-prognosen-sind-nicht-optimistisch/
[12] Vgl. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/zucker-preis-inflation-100.html
[13] Vgl. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/mindestlohn-steigt-2198650
[14] Vgl. https://www.ngg.net/presse/pressemitteilungen/2023/starkes-lohnplus-300-bis-350-euro-mehr-pro-monat-fuer-beschaeftigte-von-haribo-bahlsen-storck-und-co/#:~:text=Es%20wurde%20der%20Abschluss%20eines,Januar%20oder%20April%202024%20ausgezahlt
[15] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/nachrichten/nach-hde-empfehlung-haendler-erhoehen-loehne-freiwillig-173509
[16] Vgl. https://www.ifo.de/DocDL/ifo-schnelldienst-2023-11-glombitza-etal-inflationserwartungen.pdf
[17] Vgl. https://nutrien-prod-asset.s3.us-east-2.amazonaws.com/s3fs-public/uploads/2023-11/Nutrien%20Q3%202023%20Results%20Presentation%20Final.pdf