Es gibt sie für Kinderspielzeug, Kosmetika und Textilien: Gütesiegel, die auf Qualität, Inhaltsstoffe, Produktionsverfahren, Herkunft oder Nachhaltigkeit der gekauften Produkte hinweisen. Speziell im Bereich der Lebensmittel ist die Zahl solcher Labels kaum überschaubar. Bekannte Beispiele sind Bio, Demeter, Fairtrade, Regionalfenster oder das V-Label für vegetarische und vegane Produkte. Damit drängt sich die Frage nach der ökonomischen Logik solcher Gütezeichen auf, die teils auf gesetzlichen Vorgaben beruhen, teils aber auch in Eigeninitiative von privatwirtschaftlichen Verbänden vergeben werden.
Markttransparenz als wichtige Voraussetzung für einen funktionierenden Markt
Wenn in der Wirtschaftswissenschaft von perfekt funktionierenden Märkten („Modell der vollkommenen Konkurrenz“) die Rede ist, wird neben dem Vorhandensein vieler Marktteilnehmer und homogener Güter sowie dem Fehlen von Markteintrittsbarrieren vollständige Information aller Marktakteure stillschweigend vorausgesetzt. Informationen sind die Voraussetzung, um gute Entscheidungen zu treffen. Ein hoher Informationsgrad von Käufern und Verkäufern wird häufig mit Markttransparenz gleichgesetzt. Für die Marktakteure relevante Informationen betreffen insbesondere Preis, Qualität, Auswahl, Liefer- und Zahlungsbedingungen.
Akerlof und der Gebrauchtwagenmarkt
An vielen Märkten liegt zunächst keine für einen effizienten Gütertausch ausreichende Markttransparenz vor. Häufige Ursache ist die Existenz so genannter Informationsasymmetrien. Diese liegen dann vor, wenn die eine Marktseite über einen besseren Informationsstand verfügt als die andere. Als klassisches Beispiel gilt der Gebrauchtwagenmarkt (siehe grundlegend Akerlof, G. (1970): The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics, Band 84, Heft 3, S. 488 – 500), an dem der Verkäufer aufgrund seiner bisherigen Nutzung weitaus besser über die Qualität des Verkaufsobjekts Bescheid weiß als der potenzielle Käufer, der sich meist nach einer kurzen und oberflächlichen Inaugenscheinnahme für oder gegen den Erwerb des Gebrauchtwagens entscheiden muss. Aus Sorge, vom Verkäufer übervorteilt zu werden, werden sich potenzielle Käufer entweder gegen die Transaktion entscheiden oder ihre Zahlungsbereitschaft so herunterschrauben, dass es speziell für die Verkäufer hochwertiger Gebrauchtwagen kein lohnendes Geschäft mehr wäre. Letztere dürften sich im Sinne einer adversen Selektion vom Markt zurückziehen, infolgedessen die durchschnittliche Qualität des Angebots weiter sinkt, woraufhin sich weitere potenzielle Nachfrager zurückziehen, usw. Das Ende des Lieds: Es wechseln viel weniger Gebrauchtwagen den Besitzer als es bei gleichem Informationsniveau beider Marktseiten der Fall gewesen wäre. Ökonomen sprechen dann von teilweisem oder vollständigem Marktversagen.
Man muss sich aber nochmals klarmachen, dass nicht nur die schlechter informierte Marktseite (hier: Gebrauchtwagenkäufer) unter diesem Zustand leidet, sondern auch die besser informierte Marktseite (hier: Gebrauchtwagenverkäufer). Deshalb liegt es im ureigenen Interesse der Verkäufer, ihre Informationen mit den potenziellen Käufern zu teilen, um diese zum Kauf anzuregen. Dies geschieht am Gebrauchtwagenmarkt beispielsweise durch Garantien, Dokumentation von Inspektionen („Scheckheft“-geprüft), unabhängige Gutachter etc. Mit anderen Worten, die Marktteilnehmer entwickeln eigenständig Strategien zur Beseitigung drohenden Marktversagens. Ergänzt werden diese um gesetzliche Vorschriften (z.B. Anzeigepflicht für Unfallwagen).
Informationsasymmetrien im Lebensmittelhandel
Informationsasymmetrien gibt es vielfach im Lebensmitteleinzelhandel. Einem Apfel sieht man in der Regel nicht an, ob er der konventionellen Landwirtschaft oder biologischem Anbau entstammt. Die Käuferin eines Bio-Apfels mag ja bereit sein, für diesen einen höheren Preis zu bezahlen. Es setzt aber voraus, dass der Bio-Apfel für sie auch als solcher eindeutig zu erkennen ist. Ansonsten dürfte vom Kauf des teureren Bio-Produkts vermutlich Abstand genommen werden. In der Folge verschwinden die höherwertigen Lebensmittel zusehends aus dem Regal, da der höhere Preis nicht akzeptiert wird. Es liegt mithin im Interesse des Lebensmittelhändlers, der Kundin glaubhaft zu vermitteln, dass es sich beim vorliegenden Produkt um ein besonders gesundes, ein fair gehandeltes oder eines aus regionalem bzw. nachhaltigem Anbau handelt.
Damit kommen jetzt die Gütesiegel ins Spiel. Sie sollen den Nachfragern – über die gesetzlichen Vorschriften (zu Füllmenge, Inhalt und Zutaten) hinaus – auf einfache Weise signalisieren, welche Eigenschaften das Produkt aufweist, wo es herkommt und wie es erzeugt wurde. Viele Verbraucherinnen wollen sich beim Einkauf nicht mit komplizierten und schwer lesbaren Produktinformationen beschäftigen. Die Verkäufer teilen damit ihren Informationsvorsprung mit den potenziellen Käufern. Sie erzeugen mehr Transparenz und schaffen so überhaupt die Voraussetzung für den Verkauf sowie höhere Preise. Die Markteffizienz wird gesteigert, ein mögliches Marktversagen zumindest gelindert.
Beide Marktseiten profitieren
Beide Seiten profitieren also – sofern die Siegel halten, was sie versprechen und nicht ein bloßes Marketinginstrument darstellen, als solches sie dann früher oder enttarnt werden. Die Kriterien für die Vergabe von Siegeln und damit deren Aussagekraft sind jedoch sehr verschieden. Qualitätserwartungen der Verbraucher können daher nicht immer erfüllt werden. Es werden Begriffe („artgerechte Haltung“) genutzt, die nicht gesetzlich geschützt sind. Verliehen werden Siegel häufig von privatwirtschaftlichen Vereinigungen (u.a. „Demeter“, „Pro Weideland“, „Neuland“, „Trans-Fair“), die damit kommerzielle Ziele verfolgen. Ausgewählte Siegel wie das EU-BIO-Logo basieren hingegen auf gesetzlichen Regeln.
Dem grundsätzlich selben Zweck, Bereitstellung leicht zugänglicher Informationen für Verbraucher von Lebensmitteln, dient der jüngst eingeführte Nutri-Score. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige farbige Nährwertkennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel durch die Hersteller. Die Einordnung in die verschiedenen Stufen basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, ist aber im Detail nicht unumstritten sind. Inzwischen wird eine europaweite Einführung in Erwägung gezogen.
Fazit: Glaubwürdige Gütesiegel erfüllen aus ökonomischer Sicht eine wichtige Aufgabe im Lebensmitteleinzelhandel. Sie verringern das bestehende Informationsungleichgewicht zugunsten der Nachfrager und ermöglichen dadurch Transaktionen, die ansonsten unter Umständen nicht zustande gekommen wären. Die Gefahr einer Negativauslese auf der Angebotsseite wird verringert. Die Markteffizienz steigt, wovon beide Seiten profitieren. Staatliche Eingriffe in den Markt mit erweiterten Kennzeichnungspflichten dienen als Ergänzung, wenn ein Marktversagen sonst nicht verhindert werden kann.