Das Thema steigende Preise ist allgegenwärtig. Ein Ende ist nicht in Sicht. Für das Verständnis von Inflation ist es jedoch wichtig, die beiden Wege ihrer Entstehung zu verstehen.
Nachfrageinflation
Zum einen geht das Preisniveau nach oben, wenn es zu einem kräftigen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage („Nachfrageinflation“) kommt, ausgelöst beispielsweise durch einen Konsum-, Investitions- oder Exportboom sowie durch stark steigende Staatsausgaben. Begleitet wird diese Art der Inflation regelmäßig durch ein überschießendes Wirtschaftswachstum. Die Bekämpfung von nachfrageseitig bedingter Inflation ist aus wirtschaftstheoretischer Sicht jedoch relativ unproblematisch. Um die Gesamtnachfrage zu dämpfen, sollte der Staat seine Ausgaben zurückfahren und vor allem die Notenbank die Zinsen anheben. So geschehen in Deutschland Anfang der 1990er Jahre, als im Zuge des Wiedervereinigungsbooms die Inflationsrate auf über 5 Prozent kletterte, die Deutsche Bundesbank dem aber mit Leitzinserhöhungen bis auf 8(!) Prozent im Jahr 1992 erfolgreich entgegenwirkte – allerdings um den Preis einer Rezession im Folgejahr, die jedoch milde ausfiel und nur von relativ kurzer Dauer war.
Angebotsinflation
Zu inflationären Entwicklungen kann es aber auch durch Verknappungen und Preisanstiege beim gesamtwirtschaftlichen Güterangebot („Angebotsinflation“) kommen. Exemplarisch seien hier steigende Rohstoffpreise, gestörte Lieferketten oder Arbeitskräftemangel als mögliche Ursachen genannt. Als Paradebeispiel für eine angebotsseitig ausgelöste Inflation gelten die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre. Liefereinschränkungen durch die in der OPEC zusammengeschlossenen Rohöl exportierenden Länder ließen den Ölpreis explodierenden. In der Folge schossen in den Industrieländern für einen längeren Zeitraum die Inflationsraten in die Höhe. Begleitet wurde der Preisniveauanstieg von einer zählebigen Stagnation in der Wirtschaftsleistung und steigenden Arbeitslosenzahlen. Für diese Kombination aus „Stagnation“ und „Inflation“ hat sich der Begriff der „Stagflation“ eingebürgert.
Wahl zwischen Pest und Cholera
Eine stagflationäre Situation ist aus Sicht der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger kurzfristig wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wird die Inflation durch Zinserhöhungen und/oder verringerte Staatsausgaben bekämpft, verschlechtert sich die Wirtschaftsleistung weiter. Es droht eine länger anhaltende Rezession. Wird stattdessen versucht, die Stagnation beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) durch nachfrageseitige Maßnahmen (Zinssenkungen, Konjunkturprogramme) zu überwinden, geht die Inflation weiter in die Höhe. Auf kurze Sicht gibt es aus diesem Dilemma keinen Ausweg.
Wie ist die aktuelle Situation in Deutschland? Nach Prognose der Deutschen Bundesbank wird die Wirtschaftsleistung gemessen am BIP 2023 um 0,5 Prozent schrumpfen, die Inflation bei 7,2 Prozent liegen. Mit anderen Worten, Deutschland befindet sich inmitten einer typischen Stagflation.
Betrüblicher Ausblick
Und ein Blick auf die Stagflation der 1970er Jahre gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Unter Makroökonomen gelten diese als verlorenes Jahrzehnt. Die damalige Stagflation war jedoch lediglich auf einen Angebotsschock, die Ölpreisexplosion, zurückzuführen – und hatte dennoch gravierende Auswirkungen. In der Gegenwart sind wir indessen mit einer ganzen Reihe von preistreibenden Angebotsschocks konfrontiert:
- Steigende Energie- und Lebensmittelpreise durch den Ukraine-Krieg.
- Engpässe am Arbeitsmarkt infolge des demographischen Wandels sorgen für höhere Lohnkosten.
- Der zur Bekämpfung des Klimawandels notwendige Umbau der Wirtschaft erhöht vielerorts die Produktionskosten.
- Gestörte Lieferketten im Zuge der Corona-Pandemie forcieren Überlegungen in Richtung Insourcing, als dem Zurückholen systemrelevanter Produktionsstätten ins teurere Inland.
- Zunahme protektionistischer Tendenzen nicht zuletzt wegen wachsender geopolitischer Konflikte.
Der Preisdruck von der Güterangebotsseite dürfte mithin dauerhafter Natur sein, zumal in diesem Umfeld auch die Inflationserwartungen – die die Grundlage für längerfristige vertragliche Preisvereinbarungen (z.B. in Miet-, Tarif-, Lieferverträgen usw.) bilden – zunehmen werden. Eine Rückkehr zu erträglichen Inflationsraten von 2 Prozent ist auf Jahre hinaus nicht zu erwarten. Dazu trägt auch bei, dass der Inflationsdruck von der Güternachfrageseite nicht in gewünschtem Umfang nachlässt. Staatliche Konjunkturprogramme („Doppel-Wumms“ zur Abfederung der steigenden Energiekosten, Sondervermögen Bundeswehr usw.) in einer Größenordnung von mehreren hundert Milliarden Euro und eine nach wie vor eher zögerliche EZB sorgen für keine Entlastung.
Statt Schocktherapie…
Zur Erinnerung: Die Inflation der 1970er Jahren wurde erst beendet, als vor allem die amerikanische Notenbank unter ihrem damaligen Präsidenten Paul Volcker die Leitzinsen auf 20 (!) Prozent anhob und unter Inkaufnahme massiver Schmerzen die US-Ökonomie wieder auf den Pfad stabilitätspolitischer Tugend zurückführte. Die anderen westlichen Länder folgten in abgeschwächter Form diesem Kurs. In Deutschland hob die Bundesbank 1981 den Leitzinssatz bis auf 7,5 Prozent an.
…langes Siechtum zu erwarten
Eine solche Schocktherapie ist heute vor allem aus einem Grund nicht möglich: Die Verschuldung von privatem Sektor und Staat ist in vielen Länder deutlicher höher als es damals der Fall war. Massiv steigende Zinsen würden vielen Schuldnern das Genick brechen. Mit allen Begleiterscheinungen, die damit verbunden wären. Insbesondere mit Blick auf den Euroraum – Stichwort Euro-Schuldenkrise – möchte man sich die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Folgen nicht ausmalen.
Vor uns dürften daher Jahre mit hoher Inflation liegen – im Sinne eines Schreckens ohne Ende. Stellen Sie sich darauf ein.