Um welchen Fall geht es in dem Urteil?
Der Discounter Aldi hatte in einem Prospekt für Fairtrade-Bananen mit einer Preisreduktion von 23 % geworben, bezogen auf den zuvor geforderten Preis von 1,69 €/kg. Der günstigste Preis der letzten 30 Tage lag jedoch bei 1,29 €/kg, was auch angegeben war nach der Preisauszeichnungsverordnung. Ähnlich wurde Ananas als „Preis-Highlight“ beworben, obwohl der Preis unverändert dem 30-Tage-Referenzpreis entsprach.
Die Verbraucherzentrale hält diese Praxis nach der seit Mai 2022 geltenden Preisangabenverordnung für unzulässig, da die beworbene Preisreduktion (Rabatt) sich auf den niedrigsten Preis der letzten 30 Tage beziehen müsse.[1] Aldi hat argumentiert, dass nur der frühere Preis angezeigt werden muss.[2] Das Landgericht Düsseldorf sah die EU-Richtlinie in dieser Frage jedoch als unklar an und legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung vor. Jetzt ist am vorherigen Donnerstag entschieden worden. Alle Medien haben die News sofort aufgegriffen.[3] Konkret auf den Aldi Fall bezogen, wäre der neue Preis mit 1,29 noch weiterhin möglich, jedoch nicht die Rabattangabe von 23%. Es betrifft folglich die Kommunikation einer Preissenkung und deren Wirkung.
Die Verbraucherverbände hoffen, dass die „Preisschaukelei“ beendet wird. Gemeint ist die kurzfristige Preiserhöhung, um dann mit Werbung wieder auf den Ursprungspreis zurückzuspringen (z.B. 1.29 auf 1,79 und dann wieder 1,29). Diese Vorgehensweise mit einer Rabattkennzeichung ist jetzt nicht mehr möglich.[4] Die Preiswerbung wird dadurch fairerer und vertrauenswürdiger eingeschätzt.[5]
Was sind die Folgen für die Preispolitik im Handel?
Die Folgen für die Preispolitik werden, wie von der Verbraucherzentrale kritisiert, sein, dass innerhalb der 30 Tagefrist die Preisvariabilität abnimmt. Geringere Preisreduzierungen als in den 30 Tagen schon erfolgt sind werden jetzt nicht tendenziell weniger durchgeführt. Gegenüber dem Referenzpreis wäre es ja eine Preiserhöhung und keine Senkung. Preispromotions werden also überwiegend auf dem günstigsten reduzierten Preis der 30 Tage liegen oder darunter (letzteres seltener, da weiter margenreduzierend). Es wird also folglich weniger unterschiedliche Preise in der 30 Tagesfrist geben. Dieses kommt der Industrie mit zwei UVPs (Regal- und Promotionspreis) für Markenartikel sehr entgegen.
Die besonders betroffene Warengruppe ist Obst & Gemüse mit vielen Artikeln mit Tagepreisen. Hier lassen sich auch geringere Preisreduzierungen als bereist erfolgt in der 30 Tagesspanne nicht vermeiden, wenn ein Händler die EK-Reduzierungen weitergeben möchte. Die Einkaufspreise verändern sich hier ja zum Teil täglich. Die Wirkung der Preisreduzierung ohne Rabattangabe wird sich abschwächen, die Preiselastizität geringer ausfallen.
Bei den Nonfood-Promotions in den Handzetteln (insbesondere bei den Discountern) handelt es sich um Partievermarktung ohne Preisgegenüberstellung. Auch bei den Abverkaufspreisen ist nicht mit Änderungen zur rechnen. Schaukelpreise gab es hier nie. Das Urteil hat hier also keine Wirkung.
Spannend wird auch die Reaktion des Onlinehandels mit Dynamic Pricing und mehrfachen Preisveränderungen über den Tag, die ja nicht kostenbasiert sind. Hier wird bei korrekter Angabe die Reaktion der Kundschaft auf höhere Preise gegenüber dem anzugebenden Tagestiefstpreis negativ ausfallen mit einer Verschiebung des Kaufs oder dem Wechsel des Anbieters. Dynamic Pricing wird daher an Relevanz verlieren. Dieses betrifft auch den stationären Handel mit ESL (Electronic shelf labeling), wo ja auch die Möglichkeit von Dynamic Pricing besteht.
Die technische Umsetzbarkeit, wie auch diskutiert, sollte kein Problem darstellen.[6] Jedoch ist bei räumlicher Preisdifferenzierung in den Promotions die Komplexität natürlich höher. Handelsmarken als Alternative ins Spiel gebracht werden wie bisher kaum eingesetzt für Preispromotions, dafür sind die A-Marken viel besser geeignet.[7]
Tendenziell ist eine Verlagerung hin zu personalisierten Coupons in den Kunden-Apps der Lebensmittelhändler zu erwarten. Die Transparenz im Markt wird dadurch nicht wie von den Verbraucherzentralen gewünscht größer, sondern sehr viel kleiner bis zur völligen Intransparenz.
Wie relevant und weitreichend ist das Urteil für die Handelswerbung?
Da lohnt ein Blick in die Handzettelwerbung ausgewählter Händler vom 28.9.2024 für die Folgewoche vom 30.9.-5.10.2024.
Aldi Süd hat nur bei Obst und Gemüse die niedrigeren Preise der letzten 30 Tage ausgewiesen, bei 3 Artikeln ist der Preis ab Montag höher als der niedrigste Preis, bei einem identisch, bei einem noch niedriger. Die Angabe ist direkt den Artikeln zugeordnet.
Netto Marken Discount hat bei fast allen Preisreduzierungen den Zusatz: „Bisheriger 30 Tage-Bestpreis“. Insgesamt 25 Artikel erhalten eine weitere Information zu bisherigen Bestpreisen. Die Information ist nicht direkt bei den Produkten, sondern als Fußnote gegeben und wird bisher wenig Beachtung finden.
Penny ist sehr sparsam mit Informationen auch in der Fußnote mit nur 8 Produkten mit der Angabe des niedrigsten Preises der letzten 30 Tage.
Auch bei Lidl sind nur 12 Produkte im 65 Seiten umfassenden Handzettel betroffen. Die Werbung in der Abbildung mit Barilla für diese Woche könnte jetzt immer noch mit einem Rabatt von 1,29 auf -.99 Euro kommuniziert werden, nicht mehr jedoch mit 2,09 Euro. Die Aktion mit Iglo würde auf eine Preiserhöhung von 2,69 (bisheriger Bestpreis) auf 2,99 hinauslaufen und wird daher zukünftig unterbleiben.
Insgesamt ist der Umfang folglich in dieser Momentaufnahme sehr überschaubar im Gegensatz zu ersten Einschätzungen in den Medien.[8] Der Handel könnte diese geringe Zahl ganz reduzieren und nur Artikel einmal innerhalb der 30 Tage bewerben und dann den Rabatt richtig kommunizieren. Gerade Kaffee wäre dafür ein gutes Beispiel mit rollierender Werbung von Melitta, Dallmeyer, Krönung, Lavazza etc. oder auch die Warengruppe Bier. Händler mit einem tiefen Sortiment und vielen Alternativen sind hier im Vorteil wie die Supermärkte und die SB-Großfläche, Discounter dagegen wären eher benachteiligt. Bei Discountern könnte daher die Promotionsintensität tatsächlich abnehmen oder es werden vermehrt einmalige Food-Aktionen gefahren statt Preispromotions mit A-Marken.[9]
REWE verzichtet in seiner Zeitungswerbung völlig auf den Referenzpreis und bewirbt nur den Aktionspreis. Die Rabattangabe aus dem Urteil wird nicht angegeben. Das ist jedoch als nachteilig einzuschätzen. Anker- oder Referenzpreise ermöglichen jedoch eine schnelle und sehr effiziente Bewertung der Preisveränderungen. Preise werden von Konsumenten dabei häufig nicht absolut, sondern in Relation zu diesen Referenzpreisen bewertet.[10] Für den Konsumenten gibt es beim Preisvergleich zwischen alten Preis als Anker und dem neuen Preis einen zusätzlichen dritten Anker seit 2022 mit dem Bestpreis der letzten 30 Tage. Bei zwei Ankerpreisen ist mit Verzerrungen bei der bisher üblichen Entscheidungsheuristik und längerer Entscheidungsdauer zu rechnen. Die Wahrnehmung eines „great deals“ wird abgemildert bei einem niedrigeren Preis der letzten 30 Tage gegenüber dem aktuellen Aktionspreis.
Wie ist das Fazit zum Urteil?
Fazit: Große Veränderungen in der Preispolitik sind nicht in Sicht, der LEH wird sich an die neuen Spielregeln umgehend anpassen. Personalisierte digitale Coupons sind die Zukunft und reduzieren die Tragweite des Urteils einschneidend. Auch jetzt schon sind nur wenige Artikel jede Woche betroffen.
[1] Vgl. https://www.verbraucherzentrale-bawue.de/pressemeldungen/presse-bw/eugh-gibt-verbraucherzentrale-recht-99766
[2] Vgl. https://de.euronews.com/business/2024/09/26/europaischer-gerichtshof-gefalschte-rabatte-von-aldi-verstossen-gegen-eu-recht
[3] Vgl. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/eugh-urteil-preissenkungen-werbung-aldi-100.html; https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bananen-um-23-prozent-reduziert-aldi-sued-verliert-vor-dem-eugh-110009579.html
[4] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/politik/nachrichten/handelswerbung-eu-gericht-entscheidet-grundsatzverfahren-zu-preisreduzierungen-180049
[5] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/nachrichten/preisreduzierungen-in-der-handelswerbung-wie-marketing-experten-die-folgen-des-aldi-urteils-einschaetzen-180101
[6] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/nachrichten/preisreduzierungen-in-der-handelswerbung-wie-marketing-experten-die-folgen-des-aldi-urteils-einschaetzen-180101
[7] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/nachrichten/preisreduzierungen-in-der-handelswerbung-wie-marketing-experten-die-folgen-des-aldi-urteils-einschaetzen-180101
[8] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/politik/nachrichten/handelswerbung-eu-gericht-entscheidet-grundsatzverfahren-zu-preisreduzierungen-180049
[9] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/nachrichten/preisreduzierungen-in-der-handelswerbung-wie-marketing-experten-die-folgen-des-aldi-urteils-einschaetzen-180101
[10] Vgl. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/preisverankerung