Die Staatsverschuldung des Landes beträgt 3,1 Billionen Euro. Dies entspricht 111 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das jährliche Haushaltsdefizit liegt bei über 5 Prozent des BIP. Der Staat muss knapp 60 Milliarden allein für Zinszahlungen aufwenden. Es sind alarmierende fiskalische Zahlen. Die Rede ist jedoch nicht von den üblichen Verdächtigen wie Griechenland oder Italien, sondern von Frankreich, dem zweitgrößten Mitgliedsland des Euroraumes.
Dies ist die finanzpolitische Kulisse, vor der Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angesichts der schlechten Europawahl-Ergebnisse seiner Partei Neuwahlen für die Nationalversammlung angesetzt hat. Die von Macron unterstützten Parteien der Mitte werden dabei von der rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) von Marine le Pen und der linkspopulistisch dominierten Neuen Volksfront in die Zange genommen. Da in Frankreich das Mehrheitswahlrecht zur Anwendung kommt, wonach in jedem Wahlkreis nur der Kandidat mit der höchsten Stimmenzahl ins Parlament einzieht, kann schon ein Wahlergebnis von deutlich unter 50 Prozent zu einer absoluten Mehrheit einer Partei bzw. eines Parteibündnisses führen. Die politische Mitte droht zwischen den beiden Extremen zerrieben zu werden.
Jetzt könnte man sich ja auf den Standpunkt stellen, bei der Wahl handele es sich um eine rein innerfranzösische Angelegenheit und das Wahlergebnis achselzuckend zur Kenntnis nehmen. So einfach ist es leider nicht, schließlich handelt es sich bei Frankreich um die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas. Die nach Umfragen führende Rassemblement National fordert in ihrem Wahlprogramm unter anderem die Herabsetzung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre, Mehrausgaben im Gesundheitswesen, deutlich reduzierte Umsatzsteuern auf Energie sowie Einkommenssteuerbefreiungen für junge Arbeitnehmer. Experten schätzen, dass bei Umsetzung dieses Programms in der französischen Staatskasse weitere 100 Milliarden Euro fehlen und das Haushaltsdefizit auf über sechs Prozent stiege. Die finanzpolitischen Folgen eines Wahlerfolgs des Linksbündnisses wären wohl vergleichbar.
An den Finanzmärkten wird die Entwicklung bereits mit Sorge verfolgt. Der französische Aktienindex CAC 40 gab zuletzt deutlich nach. Gleichzeitig verlor der Euro gegenüber dem US-Dollar spürbar an Wert. Die stärkste Reaktion war indessen an den Anleihemärkten zu beobachten. Der Zinsaufschlag („Spread“) französischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen weitete sich auf 0,7 Prozent aus. Mit anderen Worten, Käufer von französischen Staatsanleihen verlangen eine höhere Risikoprämie, weil sie die finanzpolitische Solidität Frankreichs als gefährdet anzusehen.
So fing es auch in der Euro-Krise Anfang der 2010er Jahre an, als die Risikoprämien für Anleihen der südeuropäischen Länder nach oben schnellten. War doch im Nachhinein alles gar nicht so schlimm, könnte man nun meinen. Schließlich wurden Griechenland und Co. durch Anleihekäufe der EZB sowie Hilfspakete der anderen Euro-Mitgliedsländer erfolgreich vor einem Staatsbankrott gerettet. Das verkennt aber das Gewicht Frankreichs für den Euroraum. Frankreich ist zu bedeutend, seine Schulden sind zu hoch (3 Billionen Euro!), um auf ähnliche Weise wie Griechenland gerettet zu werden. Eine solche Rettungsaktion würde die Gemeinschaft komplett überfordern. Eine finanzpolitische Geisterfahrt Frankreichs würde deshalb die europäische Gemeinschaftswährung und vermutlich auch die Europäische Union in ihren Grundfesten erschüttern. Und damit ist der Wahlausgang der Parlamentswahlen auch für uns von großer Bedeutung, da die Schockwellen auch diesseits des Rheins ankämen und auf eine ohnehin geschwächte deutsche Volkswirtschaft träfen.