2025 ist ein Jahr der Umbrüche in der deutschen Lebensmittelindustrie. Selten zuvor waren so viele Fusionen, Übernahmen und strategische Zusammenschlüsse in so kurzer Zeit zu beobachten – mit teils weitreichenden Folgen für Wettbewerb, Sortimentsvielfalt und Verhandlungsmacht im Handel.
Übernahmen unter Giganten: DMK, Arla, Mars & Kellanova
Besonders medienwirksam war die Ankündigung der Fusion von DMK (Deutsches Milchkontor) und Arla Foods, zwei Schwergewichten der europäischen Milchwirtschaft mit zusammen 19 Mrd. Euro Umsatz. Ziel: Mehr Schlagkraft auf einem umkämpften Markt, größere Marktabdeckung, höhere Effizienz und gebündelte Innovationskraft – vor allem im Bereich pflanzlicher Alternativen, wo sich beide bisher schwertaten.[1]
Gleichzeitig überraschte die Nachricht im letzten August über die geplante Zusammenführung von Mars und Kellanova (der Snack-Sparte von Kellogg’s) mit einem Umsatz von zusammengerechnet 52 Mrd. Euro. Damit entsteht ein globaler Snack-Riese, der in Deutschland unter anderem mit Marken wie Pedigree, Whiskas, Snickers, Ben’s Original, Pringles und Wrigley stark vertreten ist und in den Warengruppen jeweils Marktführer ist. Die Beweggründe sind klar: höhere Marktanteile, gebündeltes Know-how im Convenience-Segment und Synergien im Vertrieb. Für den Einzelhandel bedeutet das vor allem eines: Noch stärkere Preis- und Listungsmacht auf der Industrieseite. Die Antwort der EU-Wettbewerbsbehörden steht noch aus.[2]
Nicht jede Fusion ist willkommen: Das Veto gegen Tönnies und Vion
Ein deutliches Zeichen setzte das Bundeskartellamt nach 8 Monaten Prüfung dagegen bei der geplanten Übernahme von Vion durch Tönnies. Die Fusion zweier großer Fleischverarbeiter hätte nach Einschätzung der Behörde zu einer marktbeherrschenden Stellung in mehreren Segmenten geführt – insbesondere bei Schlachtleistungen und der Belieferung des LEH mit SB-Fleisch. Das Verbot ist ein seltenes, aber wichtiges Signal gegen die zunehmende Konzentration im Fleischmarkt.[3]
Kleine Anbieter im Visier der Großen
Neben den großen Schlagzeilen findet das Fusionsfieber auch auf einer anderen Ebene statt: Große Hersteller kaufen zunehmend kleine, spezialisierte Anbieter – oft Start-ups oder mittelständische Produzenten mit starkem Markenprofil. Ob Bio-Molkereien, vegane Convenience-Hersteller oder Craft-Snack-Marken – die Übernahme dieser innovativen Player soll die eigenen Produktportfolios auffrischen und neue Zielgruppen erschließen.
Auch Rügenwalder Mühle zeigte Interesse an Kooperationen mit jungen Fleischalternativen-Startups, um sich im wachsenden Segment der pflanzlichen Proteine stärker zu positionieren.[4]
Auch schließen sich in fragmentierten Marktsegmenten mit viel Zukunftsmusik kleinere Hersteller zusammen wie bei alternativen Produkten z.B. Greenforce und Mondarella[5] oder auch The New Originals Company und Sofine, Tofutown und Inedit (Tofu).[6]
Warum gerade jetzt? Treiber der Fusionswelle
Die Motive hinter dem aktuellen Konzentrationsschub sind vielfältig:
- Wachstum durch Konsolidierung: In stagnierenden Märkten ist organisches Wachstum schwer – also wächst man strategisch durch Zukauf (wie z.B. bei Oetker)[7]
- Kostendruck und Skaleneffekte: Gemeinsame Beschaffung, geteilte Produktionsstandorte und optimierte Logistik versprechen Effizienzgewinne. Auch wenn Platz 1 und 2 zusammengehen, gibt es noch Skaleneffekte in vielen Warengruppen.
- Marktzugang und Markenpower: Kleine, innovative Marken bringen frischen Wind, während große Konzerne den Zugang zum Handel und die Skalierung sichern.
- Digitalisierung und Data Power: Größere Unternehmen können datengetriebene Innovationen – etwa in der Produktentwicklung oder im Category Management – schneller und effizienter umsetzen.
Folgen für den Handel: Mehr Macht auf Industrieseite, weniger Vielfalt im Regal?
Für den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist diese Entwicklung ambivalent. Einerseits bieten große, starke Marken Sicherheit und Konsistenz. Andererseits bedeutet die zunehmende Konzentration:
- Weniger Verhandlungsspielräume: Bei wenigen dominanten Anbietern bleibt dem Handel weniger Spielraum in Preis- und Listungsgesprächen.
- Gefahr für Sortimentsvielfalt: Kleinere Anbieter verschwinden oft nach der Übernahme aus dem Fokus – ihre Marken werden eingestellt oder verwässert.
- Innovation wird strategisch: Während früher Start-ups als Innovationstreiber galten, sind es heute zunehmend die F&E-Abteilungen großer Konzerne. Ob diese wirklich die gleiche Nähe zum Verbraucher haben, ist fraglich.
Ein Beispiel zeigt sich im Molkereibereich: Nach der Fusion von DMK und Arla könnte es für den Handel schwerer werden, unabhängige Molkereiprodukte mit Alleinstellungsmerkmalen zu bekommen – vor allem im Preis-Einstiegsbereich oder bei regionalen Spezialitäten.
Fazit: Der Markt wird größer – aber nicht unbedingt bunter
Die Fusionswelle in der Lebensmittelindustrie ist ein Ausdruck von Marktreife, internationalem Wettbewerbsdruck und dem Drang zur Effizienzsteigerung. Doch je mehr Konsolidierung stattfindet, desto wichtiger wird die Frage nach Vielfalt, Wettbewerb und Innovationskraft.
Der Handel steht damit vor einer strategischen Herausforderung: Wie lassen sich starke Industriepartner mit der Forderung nach Sortimentsdifferenzierung und Lieferantenvielfalt in Einklang bringen? Und wie kann man die Innovationskraft kleiner Anbieter schützen – vielleicht sogar bewusst fördern?
Was könnten Impulse für den Handel sein?
- Proaktivere Partnerschaft mit Start-ups: Um nicht abhängig von Konzernmarken zu werden, können Händler gezielt kleinere Anbieter fördern.
- Eigenmarken als Gegengewicht: Durch eigene Produktlinien kann der Handel unabhängiger von Markenkonzernen agieren. Dieser Trend könnte noch weiter Fahrt aufnehmen insbesondere bei den Discountern.
- Wettbewerbsrecht aktiv begleiten: Der Handel sollte ein wachsames Auge auf wettbewerbsgefährdende Zusammenschlüsse haben – und notfalls politisch mitwirken.
[1] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/industrie/nachrichten/neuer-mopro-gigant-arla-und-dmk-beschliessen-fusion-184911
[2] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/industrie/nachrichten/wettbewerb-mars-kellanova-deal-geraet-in-bruessel-zur-zitterpartie-184917
[3] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/industrie/nachrichten/fleischmarkt-kartellamt-verbietet-vion-uebernahme-durch-toennies-184806
[4] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/industrie/nachrichten/kooperation-ruegenwalder-und-endori-kooperieren-beim-aussendienst-183730
[5] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/industrie/nachrichten/pflanzliche-alternativen-greenforce-fusioniert-mit-mondarella-184155
[6] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/industrie/nachrichten/pflanzliche-alternativen-new-originals-company-stellt-fleischersatz-produkte-ein-182414
[7] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/industrie/nachrichten/bilanz-2024-oetker-gruppe-waechst-langsamer-184571