Handels

Hört auf Ricardo: Anmerkungen zur Zollpolitik

von Prof. Dr. Oliver Letzgus
05.05.2025

Auf den britischen Ökonomen David Ricardo (1772 – 1823) geht die Erkenntnis zurück, dass von Freihandel alle beteiligten Länder profitieren. Ausgehend von der plausiblen Annahme, dass die Produktionsbedingungen und -kosten zwischen Ländern variieren, können sich alle besser stellen, indem sie sich auf die Produktion derjenigen Güter spezialisieren, bei denen sie (komparative) Kostenvorteile aufweisen. Diese Güter werden dann gegen solche getauscht, bei denen das Ausland Kostenvorteile aufweist. Spezialisierung und Tausch führen dazu, dass überall der Wohlstand steigt.

Auf dieser theoretischen Grundlage und in Gedenken an die verheerenden Folgen der protektionistischen Handelspolitik in der Zwischenkriegszeit wurde seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Dach der Welthandelsorganisation WTO (und seines Vorgängers GATT) der Abbau von Handelshemmnissen forciert. Ein globaler Wachstumsschub ungeahnten Ausmaßes war die Folge. Die Vorteile der Globalisierung waren in aller Munde.

Bei aller Euphorie wurde jedoch vielfach übersehen, dass es trotz der allgemeinen Wohlfahrtsgewinne auch Verlierer der Globalisierung gab. In den Industrieländern waren es vor allem die Beschäftigten in Branchen, die in kostengünstigere Regionen abwanderten. Sie verloren ihre Jobs. Ganze Landstriche verödeten. Die gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinne, so die Theorie, könnten zwar dazu verwendet werden, die Verlierer zu entschädigen, sei es über Maßnahmen der Strukturpolitik (neue Industrien ansiedeln, Umschulungen etc.), sei es über Transferleistungen. Dazu war die Politik in den westlichen Ländern vielfach jedoch nicht bereit oder fähig. Dies gilt besonders für die USA, wo dem Staat ohnehin stark misstraut wird.

In diese Lücke ist Donald Trump mit seiner Zollpolitik gestoßen. Er verspricht sich dadurch verbesserte preisliche Wettbewerbsbedingungen für die amerikanische Industrie auf dem Heimatmarkt, die Anziehung ausländischer Direktinvestitionen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Zudem sollen die Zolleinnahmen zur Sanierung des hoch defizitären Bundeshaushalts herangezogen werden. Doch wer bezahlt letztendlich die Rechnung dieses vermeintlichen Schlaraffenlandes. Um das zu verstehen, lohnt sich ein genauerer Blick auf die Zollwirkungen, einerseits auf die Handelsströme, andererseits auf die Preiseffekte. Dabei sind verschiedene Fälle zu unterscheiden:

  • Schauen wir uns zunächst den Fall an, bei dem (homogene) Güter sowohl im eigenen Land produziert oder aus dem Ausland bezogen werden können (Wettbewerbsmarkt). Rohöl ist ein gutes Beispiel. Die USA sind ein großes Ölförderland, können ihren Ölbedarf aber auch im Ausland decken. Wenn nun ein Zoll auf Rohölimporte erhoben wird, können die Ölverkäufer den Zoll nicht ohne weiteres den Nachfragern in Form von Preiserhöhungen in Rechnung stellen. Letztere würden dann die nun teureren Importe durch heimisches Öl ersetzen. Wenn der Zoll aber nicht (vollständig) weitergegeben werden kann, geht dies zu Lasten des Exporteurs, der nun weniger Gewinn macht. Präziser formuliert: Der Preis des Importgutes bliebe weitgehend konstant, die Importmenge ebenfalls, die Zolleinnahmen des amerikanischen Staates würden von den Exportunternehmen in Form eines geringeren Gewinns bezahlt.
  • Betrachten wir nun den anderen Extremfall. Bei bestimmten Gütern sind die USA auf Importe angewiesen, weil es im eigenen Land keine Produktion hiervon gibt, z.B. bei patentgeschützten Medikamenten oder Spezialmaschinen (Monopolfall). Hier trifft also eine unelastische Nachfrage auf ein ausländisches Angebot. Wenn nun ein Zoll erhoben wird, werden die Exporteure ihre Marktmacht nutzen und den Zoll durch höhere Verkaufspreise auf die Endnachfrager abwälzen. Präzise formuliert: Der Preis der Importgüter steigt (Inflationsgefahr!), die Importmenge bliebe weitgehend unverändert, die Zolleinnahmen würden von den fast vollständig von den amerikanischen Verbrauchern bezahlt.
  • Werfen wir abschließend den Blick auf den Fall, bei dem ein ausländisches Unternehmen zwar über einen gewissen Preissetzungsspielraum (-> abwärtsgeneigte Preisabsatzfunktion) bei einem Gut verfügt, die Nachfrage aber einen normalen Verlauf aufweist, d.h. die Nachfrager bei Preiserhöhungen mit einer Einschränkung ihrer Nachfrage reagieren. Ein Beispiel wäre die Automobilindustrie. Höhere Zölle würden in diesem Fall zwar an die Kunden weitergegeben, aber nicht in vollem Umfang, da die Hersteller in den USA nunmehr einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ausländischen Anbietern besäßen. Die Preiserhöhungen führen zu einer sinkenden Nachfrage. Die Gewinne der Exporteure würden geschmälert. Auch hier noch einmal zusammengefasst: Die Preise für Importgüter steigen (aber nicht in vollem Umfang des Zollsatzes), die Importmenge geht zurück, die Zolleinahmen werden von den Nachfragern (in Form höherer Preise) und den Exportunternehmen (in Form von Gewinneinbußen) grtragen.

Die volks- und betriebswirtschaftlichen Auswirkungen höherer Zölle zu quantifizieren, ist mithin alles andere als trivial. Genaue Kenntnisse über die jeweilige Marktform, die Marktbedingungen und Elastizitäten sind hierfür unabdingbar. Solange aber noch nicht einmal klar ist, wie hoch die von den USA erhobenen Zölle (und die von der EU und China erhobenen Gegenzölle) auf Dauer ausfallen, solange sind rationale unternehmerische Entscheidungen kaum zu treffen. Alle Akteure stochern hier im Nebel. Angesichts der weltweit vorherrschenden Unsicherheit verwundert es deshalb nicht, dass die Wachstumsprognosen allerorten nach unten korrigiert werden.

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