Suche
Close this search box.

Handels

Mindestlohn: Ordnungspolitischer Sündenfall mit Ansage

von Prof. Dr. Oliver Letzgus
10.06.2024

Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns war in Deutschland politisch sehr umstritten. Kritiker verwiesen insbesondere auf die jahrzehntelang bewährte Lohnfindung durch die Tarifpartner. Es sei in einer Marktwirtschaft nicht Aufgabe des Staates, die Lohnhöhe festzulegen. Demgegenüber argumentierten die Mindestlohnbefürworter insbesondere mit der nachlassenden Tarifbindung in vielen Branchen. Diese führe dazu, dass der gezahlte Lohn vielfach nicht ausreichend sei, um davon leben zu können. Die Betroffenen seien deshalb auf ergänzende Unterstützung des Staates angewiesen.

2013 fand die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohn Eingang in den Koalitionsvertrag der neu gebildeten Regierung aus Union und SPD. Um die Befürchtung vor allem auch vieler Ökonomen zu entkräften, der Mindestlohn werde politisiert und es gäbe fortan einen politischen Wettbewerb um das höchste Mindestlohnversprechen, wurde eine unabhängige Mindestlohnkommission installiert. Diese soll die passende Mindestlohnhöhe festlegen, um den Interessen der Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gerecht zu werden. Der aus neun Mitgliedern bestehenden Mindestlohnkommission gehören jeweils drei stimmberechtigte Vertreter der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sowie zwei beratende Mitglieder aus Kreisen der Wissenschaft an. Den Vorsitz übernimmt eine gemeinsam von Arbeitnehmern und Arbeitgebern benannte Person. Gegenwärtig ist dies Christiane Schönefeld, die früher dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit angehörte.

Seit 2015 gilt der gesetzliche Mindestlohn. Ausgehend von einem Satz von 8,50 Euro/Stunde wurde er in den folgenden Jahren von der Mindestlohnkommission moderat erhöht. Vor dem Hintergrund einer gut laufenden Konjunktur blieben die befürchteten negativen Arbeitsmarkteffekte aus. Deutschland litt eher unter Arbeitskräftemangel als unter Arbeitslosigkeit.

Die 2021 neu gebildete Ampelregierung legte ohne Rücksichtnahme auf die unabhängige Mindestlohnkommission den Satz per Gesetz auf 12 Euro/Stunde fest. Damit passierte genau das, was die Kritiker immer befürchtet hatten: Politische und nicht ökonomische Erwägungen traten in den Vordergrund. Die Regierung versprach, dass dies ein einmaliger politischer Eingriff sei und man zukünftig die Mindestlohnhöhe der zuständigen Kommission überlasse.

Doch dabei bleibt es nicht. Bundeskanzler Scholz forderte jüngst, den Mindestlohn in zwei Schritten zunächst auf 14 Euro und dann auf 15 Euro zu erhöhen. Damit scheint der Wettbewerb, wer bietet am meisten, eröffnet zu sein. Es wäre daher nicht überraschend, wenn nach der nächsten Bundestagswahl der Mindestlohn erneut politisch festgelegt würde.

Aus Arbeitnehmersicht schein ein höherer Mindestlohn zunächst verlockend. Zum einen für diejenigen, die Mindestlohnempfänger sind und dann mehr bekommen. Aber auch für alle anderen, schiebt sich dadurch in absehbarer Zeit doch die gesamte Lohnskala nach oben. Wer sollte da etwas dagegen haben?

Die wirtschaftlichen Risiken liegen aber auf der Hand:

  • Höhere (Nominal-)Löhne bedeuten höhere Kosten, die zumindest teilweise in Form von Preiserhöhungen an die Kunden weitergegeben werden. Eine steigende Inflation ist die Folge. Die Reallöhne geraten dadurch unter Druck. Hinzu kommt, dass die um Energie- und Nahrungsmittelpreis bereinigte Kerninflationsrate immer noch bei knapp drei Prozent liegt. Wenn es hier zu keinem deutlichen Rückgang kommt, und Lohnerhöhungen dürften dazu einen wichtigen Beitrag leisten, wird die EZB die Zinsen kaum dauerhaft senken, was für die lahmende Konjunktur wichtig wäre.
  • Gerade in personalintensiven Sektoren könnten infolge spürbar steigender Personalkosten Arbeitsplätze wegfallen. Gepaart mit der gegenwärtig schwachen Konjunktur könnte sich die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtern. Die fehlende Frühjahrsbelebung bei den Arbeitslosenzahlen spricht ohnehin dafür, dass die rosigen Zeiten hier auch vorbei sein könnten.

Angesichts dieser Risiken ist an die Politik zu appellieren, die Mindestlohnkommission ihren Job machen zu lassen. Unabhängige Institutionen, die dem politischen Tagesgeschäft entzogen sind, bleiben Garant für eine funktionierende Soziale Marktwirtschaft. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die segenreichen Wirkungen einer autonomen EZB und eines unabhängigen Bundeskartellamts. Sie bieten Gewähr, dass Politiker nicht den Verlockungen kurzfristiger Maßnahmen erliegen, die aber langfristig schädlich sind.

Bild1

Die neusten Studien

Band21 Shadow

Band 21

Kriterien der Einkaufsstättenwahl in der DIY-Branche. Eine empirische Untersuchung zum Konsumentenverhalten in der Baumarktbranche.

Maximilian Timm, Carsten Kortum

Oktober 2023

Band20 Shadow

Band 20

Kundenreaktion auf Out-of-Stock von Food- und Nonfood- Aktionsartikeln bei verschiedenen Betriebstypen im Lebensmitteleinzelhandel

Marcel Gimmy, Prof. Dr. Carsten Kortum

Mai 2023

Titel Band 19 Homepage Neu

Band 19

Klimaneutralität im deutschen LEH
Diskussionsbeitrag auf Basis von acht Experteninterviews

Alesia Kehl, Stephan Rüschen

November 2022

Die neusten Whitepaper

Nr. 31
Chancen und Herausforderungen von Licensing im Handel – eine empirische Analyse der Einschätzungen von Entscheidern
Carsten Kortum, Tassilo Zimmermann
Juni 2024
Nr. 30
Markenbekanntheit und Markenrelevanz von Hersteller- und Eigenmarken bei der Kaufentscheidung im LEH – eine empirische Analyse
Carsten Leo Demming, Carsten Kortum
Mai 2024
Nr. 29
Kernaussagen des Retail Innovation Days Special 2023: ‘Smart Stores 24/7 – Autonom in die Zukunft?’
Stephan Rüschen, Julia Schumacher
März 2024

Die neusten Blogbeiträge

FulfillmentKonzept „20four7 pickup“

von Josua Lahr, Lorenz Wessel, Felix Wörndl, Eslem Zor

Entwicklung eines Fullfillment-Konzepts für den deutschen e-Food-Markt

von Samira Hotz, Anna Kölbl, Gloria Lehmann, Mara Wieland

Breuninger stellt sich selbst nach 140 Jahren Historie ins Schaufenster

von Prof. Dr. Carsten Kortum

Zukunft des E-Food Marktes in Deutschland: Ein transformierendes Konzept

von Pauline Kucharzik, Sarah Boley, Victoria Wambolt, Alicia Kohler

CLIBO – ein neuer Standard im e-Food-Markt?

von Sara Ettingshausen, Tom Fischer, Maximilian Haak, Lukas Römer