Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns war in Deutschland politisch sehr umstritten. Kritiker verwiesen insbesondere auf die jahrzehntelang bewährte Lohnfindung durch die Tarifpartner. Es sei in einer Marktwirtschaft nicht Aufgabe des Staates, die Lohnhöhe festzulegen. Demgegenüber argumentierten die Mindestlohnbefürworter insbesondere mit der nachlassenden Tarifbindung in vielen Branchen. Diese führe dazu, dass der gezahlte Lohn vielfach nicht ausreichend sei, um davon leben zu können. Die Betroffenen seien deshalb auf ergänzende Unterstützung des Staates angewiesen.
2013 fand die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohn Eingang in den Koalitionsvertrag der neu gebildeten Regierung aus Union und SPD. Um die Befürchtung vor allem auch vieler Ökonomen zu entkräften, der Mindestlohn werde politisiert und es gäbe fortan einen politischen Wettbewerb um das höchste Mindestlohnversprechen, wurde eine unabhängige Mindestlohnkommission installiert. Diese soll die passende Mindestlohnhöhe festlegen, um den Interessen der Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gerecht zu werden. Der aus neun Mitgliedern bestehenden Mindestlohnkommission gehören jeweils drei stimmberechtigte Vertreter der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sowie zwei beratende Mitglieder aus Kreisen der Wissenschaft an. Den Vorsitz übernimmt eine gemeinsam von Arbeitnehmern und Arbeitgebern benannte Person. Gegenwärtig ist dies Christiane Schönefeld, die früher dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit angehörte.
Seit 2015 gilt der gesetzliche Mindestlohn. Ausgehend von einem Satz von 8,50 Euro/Stunde wurde er in den folgenden Jahren von der Mindestlohnkommission moderat erhöht. Vor dem Hintergrund einer gut laufenden Konjunktur blieben die befürchteten negativen Arbeitsmarkteffekte aus. Deutschland litt eher unter Arbeitskräftemangel als unter Arbeitslosigkeit.
Die 2021 neu gebildete Ampelregierung legte ohne Rücksichtnahme auf die unabhängige Mindestlohnkommission den Satz per Gesetz auf 12 Euro/Stunde fest. Damit passierte genau das, was die Kritiker immer befürchtet hatten: Politische und nicht ökonomische Erwägungen traten in den Vordergrund. Die Regierung versprach, dass dies ein einmaliger politischer Eingriff sei und man zukünftig die Mindestlohnhöhe der zuständigen Kommission überlasse.
Doch dabei bleibt es nicht. Bundeskanzler Scholz forderte jüngst, den Mindestlohn in zwei Schritten zunächst auf 14 Euro und dann auf 15 Euro zu erhöhen. Damit scheint der Wettbewerb, wer bietet am meisten, eröffnet zu sein. Es wäre daher nicht überraschend, wenn nach der nächsten Bundestagswahl der Mindestlohn erneut politisch festgelegt würde.
Aus Arbeitnehmersicht schein ein höherer Mindestlohn zunächst verlockend. Zum einen für diejenigen, die Mindestlohnempfänger sind und dann mehr bekommen. Aber auch für alle anderen, schiebt sich dadurch in absehbarer Zeit doch die gesamte Lohnskala nach oben. Wer sollte da etwas dagegen haben?
Die wirtschaftlichen Risiken liegen aber auf der Hand:
- Höhere (Nominal-)Löhne bedeuten höhere Kosten, die zumindest teilweise in Form von Preiserhöhungen an die Kunden weitergegeben werden. Eine steigende Inflation ist die Folge. Die Reallöhne geraten dadurch unter Druck. Hinzu kommt, dass die um Energie- und Nahrungsmittelpreis bereinigte Kerninflationsrate immer noch bei knapp drei Prozent liegt. Wenn es hier zu keinem deutlichen Rückgang kommt, und Lohnerhöhungen dürften dazu einen wichtigen Beitrag leisten, wird die EZB die Zinsen kaum dauerhaft senken, was für die lahmende Konjunktur wichtig wäre.
- Gerade in personalintensiven Sektoren könnten infolge spürbar steigender Personalkosten Arbeitsplätze wegfallen. Gepaart mit der gegenwärtig schwachen Konjunktur könnte sich die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtern. Die fehlende Frühjahrsbelebung bei den Arbeitslosenzahlen spricht ohnehin dafür, dass die rosigen Zeiten hier auch vorbei sein könnten.
Angesichts dieser Risiken ist an die Politik zu appellieren, die Mindestlohnkommission ihren Job machen zu lassen. Unabhängige Institutionen, die dem politischen Tagesgeschäft entzogen sind, bleiben Garant für eine funktionierende Soziale Marktwirtschaft. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die segenreichen Wirkungen einer autonomen EZB und eines unabhängigen Bundeskartellamts. Sie bieten Gewähr, dass Politiker nicht den Verlockungen kurzfristiger Maßnahmen erliegen, die aber langfristig schädlich sind.