Handels

Preisdifferenzierung am Beispiel von Kunden-Apps im Lebensmitteleinzelhandel

von Prof. Dr. Michel Mann
14.04.2025

Unter Preisdifferenzierung versteht man eine Strategie, bei der „für identische bzw. nahezu identische Produkte oder Dienstleistungen von den Nachfragern unterschiedlich hohe Preise gefordert“ werden.[1] Wir kennen das z.B. von Preisen für Kinotickets. Kinder zahlen weniger als Erwachsene. Ähnliches gilt für die Preise in der Mensa am Bildungscampus. Hier zahlen Studierende weniger als Mitarbeiter. Auch beim Reisen begegnet uns Preisdifferenzierung, bspw. bei der Bahn (Spar- vs. Flexpreise) oder bei den Preisen für Flugtickets.

Preisdifferenzierung zielt darauf ab, den Gewinn eines Unternehmens durch die Abschöpfung der Konsumentenrente zu steigern.[2] Bei vollkommener Preisdifferenzierung verlangen Unternehmen genau den Preis, der der maximalen Zahlungsbereitschaft jedes Kunden entspricht. Das wäre also genau der Preis, zu dem jeder Kunde das Produkt bzw. die Dienstleistung gerade noch kaufen würde.

in der Literatur werden verschiedene Varianten von Preisdifferenzierung unterschieden. In Anlehnung an Simon unterscheidet Frohmann Preisdifferenzierungsvarianten nach den drei Dimensionen Marktsegmente, Menge und Produkten.[3] Abbildung 1 gibt einen Überblick über diese verschiedenen Varianten.

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Abbildung 1: Varianten der Preisdifferenzierung, Quelle: Frohmann, Digitales Pricing, 2018, S. 118 (aus Simon, Preismanagement, 1992)

Bei der Preisdifferenzierung nach Marktsegmenten werden Preise zeitlich, räumlich, personenabhängig oder nach Vertriebskanälen differenziert. Zeitliche Preisdifferenzierung kennen viele Studierende von Happy Hour-Angeboten für Cocktails in den frühen Abendstunden oder von preiswerten Mittagstischangeboten in Restaurants. Räumliche Preisdifferenzierung begegnet uns, wenn wir die Lebensmittelpreise in verschiedenen europäischen Ländern miteinander vergleichen, z.B. die Preise in Deutschland und der Schweiz. Personenbezogene Preisdifferenzierung erfolgt auf Basis von Kundenmerkmalen wie z.B. dem Alter oder Kundenverhaltensmerkmalen wie z.B. der Intensität der Nutzung (Beispiel: Wenig- vs. Vielnutzer).[4] Coca-Cola liefert ein plakatives Beispiel für die Preisdifferenzierung nach Vertriebskanälen. Die Preise für eine 0,5l-Flasche variieren je nachdem, ob man sie im Supermarkt, beim Bäcker oder am Flughafen kauft  (siehe Abb. 2).

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Abbildung 2: Preisdifferenzierung einer 0,5l-Flasche Coca-Cola in Deutschland ohne Pfand, Quelle: Simon, Preismanagement, 2025, S. 250

Unter Dynamic Pricing versteht man die Anpassung der Preise in Abhängigkeit der jeweiligen Marktsituation auf Grundlage einer vorgegebenen zeitlichen Taktung. Fluggesellschaften und Online-Händler optimieren ihre Erlöse über Algorithmen, die verschiedene Faktoren bei der dynamischen Preisgestaltung berücksichtigen (z.B. Nachfrage, Wochentag, Wetter, Wettbewerbspreise). [5]

Mengenbasierte Preisdifferenzierung begegnet uns z.B. bei Anbietern für Büroartikel, die sinkende Staffelpreise als Anreiz für die Abnahme höhere Mengen nutzen, oder bei Preisvorteilen für Gruppen ggü. Einzelpersonen.

Produktbezogene Preisdifferenzierung erfolgt über das Bündeln von Produkten und Dienstleistungen (Bundling). Amazon liefert mit seinem Prime-Angebot eine solche Preisstrategie, bei der u.a. Musik- und Videoangebote mit der kostenlosen Belieferung kombiniert wird. Eine weitere Variante ist das Angebot verschiedener Versionen eines Produkts, z.B. bei Smartphones oder Software.

Mittlerweile hat sich auch im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) Preisdifferenzierung über Kunden-Apps und Kundenkarten fest etabliert. Hier gilt: Rabatte? Die gibt es nur mit der App.

Zwei aktuelle Beispiele:

  1. Ende März gab es bei der REWE die Krombacher-Kiste für Rewe Bonus-Nutzer ganze sechs Euro günstiger (-35%) als für die Nichtnutzer.
  2. In der gleichen Woche bot Lidl Ehrmann Almighurt exklusiv für die Nutzer der Lidl Plus App zum halben Preis an (-50%).

Doch warum beschränken Händler die Preise in Abhängigkeit von der Nutzung ihrer Apps und Kundenkarten? Dafür gibt gute Argumente:

  1. Loyalität: Solche Angebote sollen die Bindung des Kunden an den Händler stärken, weil sie durch attraktive Anreize dazu beitragen, dass Kunden ihren Bedarf an Lebensmitteln vorwiegend beim eigenen Unternehmen befriedigen.
  2. Erkenntnisse: Händler gewinnen wertvolle Kundendaten, die es ihnen ermöglichen wichtige Shopper Insights zu generieren, um dadurch bessere Entscheidungen zu treffen, z.B. in der Vermarktung.
  3. Zielgerichtete Rabatte: Die Investition in Preisnachlässe kann auf Basis personenbezogener Daten zielgerichteter erfolgen statt mit der Gießkanne.
  4. Kosten: Über Kunden-Apps lassen sich die Kosten für teure und ressourcenintensive Print-Handzettel einsparen.

Doch wie werden diese Sonderangebote von den Kunden wahrgenommen, die nicht davon profitieren? Vermutlich als Benachteiligung, vor allem wenn sie die Preisdifferenzierung für ungerecht halten, z.B. weil sie mit digitalen Apps nicht umgehen können oder datenschutzrechtliche Bedenken haben. Hierbei wäre es dann wohl passender, von Preisdiskriminierung zu sprechen.

Wie wirkt sich diese Wahrnehmung auf das tatsächliche Einkaufsverhalten dieser Kunden aus? Kaufen sie unverändert ein? Gehen sie seltener zu Händlern mit Sonderaktionen für App-Nutzer? Oder boykottieren sie diesen Händler gar?

Antworten auf diese Frage dürften von verschiedenen Faktoren abhängen wie z.B. der Höhe der Preisnachlässe, die nur über die Kunden-Apps gewährt werden oder der Sichtbarkeit dieser exklusiven Sonderangebote für Nicht-App-Nutzer.

Vorstellbar ist, dass Händler nach der Phase der Gewinnung von App-Kunden die Vermarktung exklusiver App-Rabatte am PoS oder in Handzetteln drosseln und auf die App verlagern. Vorteil: Die Preisnachlässe wären für Nicht-App-Nutzer weitgehend unsichtbar. Nachteil: Dafür müsste auf einen starken Kaufanreiz durch die Auslobung von App-Sonderangeboten direkt am Regal verzichtet werden.

 

[1] Meffert et al., Marketing, 13. Auflage, 2019, S. 520

[2] Meffert et al., Marketing, 13. Auflage, 2019, S. 520

[3] Frohmann, Digitales Pricing, 2018, S. 117; Simon, Preismanagement, 2. Auflage, 1992

[4] Simon et al., Preismanagement, 2025, S. 253

[5] Frohmann, Digitales Pricing, 2018, S. 126

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