Handels

Rabatt gegen Daten – oder: Wie wir mit Loyalty-Programmen (endlich) ehrlich werden sollten

von Michael Bregulla, Loyalty-Experte und Geschäftsführer von KNISTR
28.07.2025

Rabatte im Tausch gegen Daten – spätestens seit der in den letzten Tagen vieldiskutierten Klage gegen Lidl Plus ist das Thema wieder auf der medialen und juristischen Agenda. Die Verbraucherzentrale sieht das Programm kritisch, weil Verbraucher:innen nicht ausreichend über die Verwendung ihrer Daten aufgeklärt werden. Im Raum stehen Verstöße gegen Datenschutzgrundverordnung und Verbraucherschutzrecht. Das Oberlandesgericht Stuttgart wird nun in Kürze entscheiden – sicher mit Signalwirkung für die gesamte Branche.

Aber halten wir doch mal kurz inne.

Was da gerade juristisch verhandelt wird, ist im Kern längst gesellschaftlicher Konsens – oder müsste es zumindest sein. Loyalty-Programme, wie wir sie heute im Lebensmitteleinzelhandel kennen, basieren nämlich auf einem Deal: Ich gebe dir als Händler meine Daten, du gibst mir dafür passende Kommunikation, Preisvorteile, vielleicht auch einen besseren Service – und im Idealfall sogar alles zusammen. So einfach. So transparent. Oder?

Die vermeintlich neue Debatte – damit ein alter Hut?
Lidl erhebt bei Registrierung zur Lidl Plus App Daten wie Vorname, Alter, Geschlecht, bevorzugte Filiale – und erfasst später dann natürlich auch das Einkaufsverhalten und Präferenzen. Diese Daten werden dafür genutzt, um Filialplanung, Angebotssteuerung und die App-Personalisierung immer weiter zu verbessern. Wer die Vorteils-App nutzt, kann und sollte also damit rechnen, dass eben auch Daten analysiert werden. Das ist kein Geheimnis, sondern üblicher Teil des Systems – und das seit über 25 Jahren, wenn wir Payback, DeutschlandCard und viele händlereigene Programme einbeziehen. Wer das nicht möchte, und das ist natürlich völlig legitim, sollte auf solche Apps verzichten und sich auch allgemein bei der Smartphone Nutzung einschränken.

Natürlich heißt diese Meinung nicht, dass bezüglich Datennutzung in der Loyalty Welt alles in Ordnung ist. Denn woran es tatsächlich oft fehlt, ist Transparenz. Nutzer:innen müssen verstehen, was mit ihren Daten passiert! Und das nicht in seitenlangen Datenschutzerklärungen, sondern in klarer, verständlicher Sprache, direkt in der App, vor der Registrierung. Ohne viel Rumklicken. Ohne Juristendeutsch. Und während der laufenden Nutzung der App ist die grundsätzliche Möglichkeit eines Zugriffs auf die gespeicherten persönlichen Daten inklusive transaktional- und intentbasierter Informationen ideal. Ist der Standard in den gängigen Programmen? Nein.

Transparenz schafft Vertrauen – und verhindert Misstrauen
Wenn wir wollen, dass Kund:innen dem Prinzip „Daten gegen Mehrwert“ weiterhin zustimmen, dann müssen wir es ihnen es nämlich so einfach wie möglich machen, den Überblick zu behalten:

  • Welche Daten werden erhoben?
  • Wofür werden sie genutzt?
  • Wer bekommt sie eventuell noch zu sehen?
  • Und: Kann ich bestimmte Nutzungen abwählen?

Ein „Datennutzungs-Dashboard“ in der App, verständlich formuliert, mit Opt-out-Funktionen, wäre ein überfälliger Schritt in Richtung Vertrauensbildung. Wer als Händler an einer langfristigen Beziehung interessiert ist, muss hier investieren – nicht nur technologisch, sondern auch kommunikativ.

Der wahre Engpass: Wir reden in Deutschland immer noch nur über Rabatte
Vielleicht ist es auch an der Zeit, Loyalty im LEH endlich neu zu denken. Denn die eigentliche Frage aus Sicht der Konsument:innen ist doch nicht: „Was kostet mich mein Datenschutz?“ Sondern: „Was bringt mir das Vertrauen in eine Marke?“

Wenn wir Loyalty-Programme also weiter nur auf Preisnachlässe reduzieren, verpassen wir das eigentliche Potenzial: echte Kundenbindung. Und die entsteht nicht durch Prozentzeichen, sondern durch Relevanz, Wertschätzung und persönliche Ansprache.

Was gerade mit intelligenter, inzwischen KI-basierter Datennutzung zum Vorteil der Kund:innen möglich wäre, zeigen internationale Vorreiter:

  1. Relevante Vorteile: Angebote, die wirklich zu meinem Lebensstil passen – z. B. gesunde Snacks oder saisonale Lieblingsprodukte.
  2. Personalisierte Kommunikation: Keine generischen Newsletter, sondern Informationen, die wirklich hilfreich sind – z. B. zur Lieblingsfiliale, zu neuen Services oder spannenden Produkten.
  3. Bequeme Nutzung: Loyalty, die sich an mein Verhalten anpasst – ob ich online bestelle, im Markt einkaufe oder die App nutze.

Und ja, auch Gamification kann helfen: kleine Challenges, Belohnungen fürs Schritte-Zählen oder Mini-Gewinnspiele bringen Spaß in eine ansonsten nüchterne Kundenbeziehung – und liefern ganz nebenbei noch weitere wertvolle Verhaltensdaten.

Was wir brauchen, ist nicht nur smarte Technologie, sondern auch Ehrlichkeit und Haltung
Zusammengefasst bleibt die medial-juristische Debatte um Lidl Plus wichtig – jedoch eben nicht, weil sie etwas Neues aufdeckt. Sondern weil sie uns zwingt, grundsätzliche Fragen zu stellen: Wie offen sind wir mit der Datennutzung? Wie ernst nehmen wir Kundenerwartungen? Und wie schaffen wir Programme, die nicht nur transaktional, sondern wirklich relational sind?

Loyalty darf kein Datenschutz-Minenfeld sein, sondern ein Vertrauensraum. Wer das versteht, wird nicht nur juristisch auf der sicheren Seite stehen – sondern auch emotional näher an seinen Kund:innen.

Denn am Ende geht es bei Loyalty nicht um Punkte. Sondern um Beziehung.

 

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