Teil 2: Konzeption qualitativer wissenschaftlicher Arbeiten
Viele Projekt- und Bachelorarbeiten von Studierenden der DHBW Heilbronn greifen auf qualitative Forschungsmethoden zurück. Diese Blog-Serie soll dazu beitragen, zentrale Fragen zu beantworten, die bei der Nutzung qualitativer Forschungsansätze aufkommen. Der zweite Teil der Serie widmet sich nun dem Forschungsdesign.
Ausgangspunkt: Formulierung von Forschungsfragen
Ausgangspunkt für die Konzeption wissenschaftlicher Arbeiten bilden Forschungsfragen. Oder anders formuliert: Welche offene(n) Frage(n) soll(en) mit der Forschungsarbeit beantwortet werden? (Offene) Forschungsfragen unterscheiden sich von Hypothesen dadurch, dass für sie im Gegensatz zu Hypothesen noch keine vermutete Antwort vorliegt. [1] Die Entwicklung einer Forschungsfrage oder mehrerer Forschungsfragen basiert beispielsweise auf relevanten Lücken in der Theorie, Widersprüchlichkeiten zwischen verschiedenen Theorien oder praktischen Problemstellungen, für die die Wissenschaft bislang keine adäquaten Antworten bereithält. Letzteres dürfte die wohl häufigste Quelle für wissenschaftliche Arbeiten an der DHBW Heilbronn darstellen.
Für die Formulierung von Forschungsfragen gibt es kein Patentrezept. Ein Ansatzpunkt ist die Entwicklung offener W-Fragen (z.B. Was?, Wer?, Wann?, Welche? Wie?, Warum?). Aktuelle Studien aus der Verhandlungsforschung widmen sich beispielsweise der Fragen, welche Strategien Frauen in beruflichen Verhandlungen einsetzen [2] oder was gewerkschaftliche Verhandlungsführer als effektive bzw. ineffektive Verhaltensweisen halten [3].
Horvath nennt vier Anforderungen an gute Forschungsfragen: [4]
- Gute Forschungsfragen sind beantwortbar. Bei ihrer Formulierung sollte darauf geachtet werden, dass sie möglichst konkret und präzise gefasst werden. Forschungsfragen dürfen nicht zu breit formuliert sein, um eine Beantwortung im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit während eines Studiums überhaupt zu ermöglichen. [5] So wäre zum Beispiel „Was zeichnet erfolgreiches Marketing bei Firma XYZ aus?“ eine zu breite Frage, die sich im Rahmen einer Projektarbeit nicht beantworten lässt. Fokussierter und besser geeignet erscheint dagegen die Frage: „Wie lässt sich die Kunden-App von Firma XYZ optimieren?“
- Gute Forschungsfragen sind (dem Fachpublikum) auf Anhieb verständlich. Sie enthalten zum Beispiel keine zwei- oder mehrdeutigen Begriffe und sind nicht unnötig komplex formuliert.
- Gute Forschungsfragen sind begründet. Sie werden durch bestehende Arbeiten bislang nicht oder nicht ausreichend beantwortet und sind zudem für Theorie und/oder Praxis von hoher Relevanz.
- Gute Forschungsfragen geben die Reichweite der zu erhaltenden Befunde treffend wieder. Sie versprechen nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig.
Weitere Elemente des Research Designs
Forschungsfragen bilden die Basis für Entscheidungen darüber, wie Forschende diese zu beantworten gedenken. In einem ersten Schritt muss daher beurteilt werden, ob Forschungsfragen durch quantitative Methoden, qualitative Methoden oder Mixed-Methods-Ansätze am besten zu beantworten sind. Hier sei auf Teil 1 dieser Serie verwiesen, welcher einen Überblick über die zentralen Unterschiede quantitativer und qualitativer Forschung gibt. Diesen finden Sie hier: https://handel-dhbw.de/blogeintrag/eine-einfuehrung-in-die-qualitative-forschung/
Wir gehen im Folgenden davon aus, dass die Wahl auf eine qualitative Methode gefallen sei. Nun stehen weitere Entscheidungen über die Art und Weise an, wie die Daten gewonnen und ausgewertet werden. Zudem sollten sich Studierende auch frühzeitig darüber Gedanken machen, wie sie sicherstellen können, dass ihre Erkenntnisse auf einem vertrauenswürdigen Fundament stehen. [6]
Bei der Datengewinnung geht es primär um die Art der Stichprobenziehung und die Wahl der Ergebungsmethode. Auch wenn die Stichproben qualitativer Studien aufgrund des mit der Datengewinnung verbundenen Aufwands nicht repräsentativ sind, muss auf ein geeignetes Verfahren der bewussten Stichprobenziehung geachtet werden, um Vorwürfen der Willkürlichkeit vorzubeugen. Bei der Wahl der Erhebungsmethode stehen verschiedene Optionen zur Verfügung, darunter Interviewverfahren und Gruppendiskussionen zur Generierung von Daten oder die Verwendung bereits vorliegender Daten (z.B. Dokumente). [7]
Fragen zur Datenauswertung konzentrieren sich darauf, wie die qualitativen Daten aufbereitet und anschließend analysiert werden. Hinsichtlich der Datenaufbereitung ist bei Interviewverfahren die Transkription der Gespräche obligatorisch, d.h. die geführten Interviews werden verschriftlicht, um sie einer Auswertung zugänglich zu machen. Bei den Auswertungsmethoden unterscheidet man eine Vielzahl verschiedener Verfahren. Bei Interviewdaten wird häufig auf Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse gesetzt, die computerbasiert erfolgen. [8]
Bei qualitativer Forschung handelt es sich in der Regel um interpretative Forschungsansätze, d.h. die Datenerhebung erfolgt in der Interaktion mit den Forschenden. Daher ist es wenig verwunderlich, dass verschiedentlich gefordert wird, qualitative Forschung müsse sich an den aus der quantitativen Forschung bekannten Gütekriterien der Objektivität, Reliabilität und Validität orientieren. Weil sich diese Anforderungen nicht 1:1 auf qualitative Forschungsarbeiten übertragen lassen, wurden für die qualitative Forschung alternative Gütekriterien vorgeschlagen, in deren Kern die Sicherstellung von Vertrauenswürdigkeit bzw. Glaubwürdigkeit der Befunde steht (Trustworthiness). [9] [10]
Im Unterschied zu quantitativen Methoden, durchlaufen qualitative Studien keinen linearen Prozess von der Formulierung der Forschungsfragen über die Datengewinnung bis hin zur Datenauswertung. Vielmehr ist dies ein zirkulärer Prozess, bei dem die einzelnen Schritte mehrfach durchlaufen werden und der jeweils nächste Schritt von den Resultaten des Schritts zuvor abhängig ist. [11] Diesen Besonderheiten und Detailfragen zur Datengewinnung, Datenauswertung und Gütekriterien qualitativer Forschung widmen sich die folgenden Teile dieser Blog-Reihe.
Literatur
Titelbild: Dall-E
[1] Bauer & Hussy (2023): Qualitative Forschungsansätze. In Schreier et al. (Hrsg.): Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften für Bachelor (3. Auflage). Springer. S. 1-56.
[2] Bowles et al. (2019): Reconceptualizing What And How Women Negotiate For Career Advancement. In: Academy of Management Journal, 62(6), S. 1645-1671.
[3] Mann et al. (2024): United we stand: a principle-based negotiation training for collective bargaining. In: International Journal of Conflict Management, 35(2), S. 427-452.
[4] Horvath (2022): Forschungsfragen. In: Baur & Blasius (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Springer Fachmedien. S. 35-50.
[5] o.V. (o.A.): Wie formuliere ich eine Forschungsfrage? Universität Wien, URL (abgerufen am 14.10.24): https://ctl.univie.ac.at/angebote-fuer-studierende/ressourcen/bachelor-thesis-survival-guide/was-bedeutet-relevanz-in-meinem-fach/wie-formuliere-ich-eine-forschungsfrage/
[6] Schreier (2023): Qualitative Forschungsansätze. In Schreier et al. (Hrsg.): Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften für Bachelor (3. Auflage). Springer. S. 205-246.
[7] Schreier (2023): Qualitative Ergebungsmethiden. In Schreier et al. (Hrsg.): Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften für Bachelor (3. Auflage). Springer. S. 247-280.
[8] Schreier & Weydmann (2023). Qualitative Analyseverfahren. In Schreier et al. (Hrsg.): Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften für Bachelor (3. Auflage). Springer. S. 281-318.
[9] Lincoln & Guba (1986). But Is It Rigorous? Trustworthiness and Authenticity in Naturalistic Evaluation. In: Williams (Hrsg.): Naturalistic Evaluation. Jossey-Bass. S. 73-84.
[10] Weydmann & Schreier (2023). Bewertung qualitativer Forschung. In Schreier et al. (Hrsg.): Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften für Bachelor (3. Auflage). Springer. S. 319-334.
[11] Krell & Lamnek (2024): Qualitative Sozialforschung (7. Auflage). Beltz.