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Handels

Reverse Pricing Power bei Temu und Habecks Pläne

von Prof. Dr. Carsten Kortum
16.09.2024

Nach Peter Drucker soll sich Pricing an den Bedürfnissen der Kunden orientieren. Cost based Pricing als Alternative „is a deadly business“. Die Prämie auf Produkte und Services wird nicht eingefahren. In die gleiche Richtung geht Simon-Kucher. Wichtig ist auch Preisdifferenzierung und die Vermeidung von Price Wars. Value Approach mit der Generierung von Wertschöpfung ist im Fokus. Diese Pricing Power ist der entscheidende Faktor für Profitabilität in Märkten.
Soweit so gut und bekannt.

Temu dreht diese Welt auf den Kopf. Es gibt nicht nur das Glücksrad, auf bereits getätigte Umsätze (mit akzeptierten Preisen) gibt es eine Rückvergütung. Diese greift auch bei Neukäufen mit 50 Prozent Rabatt.

Bild2
Abb.1: Eigene Screenshots zu Rabatten bei Temu

Value Pricing sieht anders. Die Pricing Power besteht darin sich in dem bestehenden Geschäftsmodell und mit den geltenden Marktregularien solche Preispromotions leisten zu können. Wettbewerber bei Nonfood können da nicht mitgehen und kommen unter Druck. Die Aktienkurse der US-Nonfood-Discounter sind bereits stark gefallen und preisen die neue Wettbewerbssituation ein.[1] Markt geht vor Ertrag, eine Penetrationsstrategie wie im Lehrbuch. Ich nenne das Reverse Pricing Power.

Die Reaktion auf die Paketflut mit geschätzt 400.000 Paketen jeden Tag nach Deutschland als Folge der Pricing Power bleibt nicht aus.

Wie reagiert der Handel? Die Lobbyarbeit des HDE wirkt. Der KIK CEO sucht die Öffentlichkeit.[2] Der angebotene Direktimport von der Fabrik über ein EU-Händler wie es About You angekündigt hat[3], scheint als Abwehrstrategie dagegen kaum geeignet. Die Qualitätskontrolle ist für den Gatekeeper Einzelhandel ein der wichtigsten Handelsfunktionen. Diese könnte nicht mehr erfüllt werden.

Für Importeure mit Sitz in der EU gelten inzwischen umfangreiche Regelwerke für den Warenbezug aus Drittländern wie z.B. die Entwaldungsfreiverordnung oder das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Für die Händler in China auf den Plattformen gelten diese Regeln nicht. Von Fairness kann keine Rede sein.

Das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck legte vorletzte Woche einen „Aktionsplan E-Commerce“ vor mit 10 Punkten. Dieser Vorschlag wurde breit diskutiert.

Dem HDE geht das Maßnahmenpaket von Minister Habeck nicht weit genug und es gibt zu viele Zuständigkeiten. Gefordert wird ein extremer Eingriff in den Wettbewerb, die Abschaltung der Plattformen bei weiteren schwerwiegenden Verstößen. Die Mängel werden in der unzureichenden Marktüberwachung und mit Verstößen gegen den Digital Services Act DAS begründet. Ein Rechtsgutachten der renommierten Kanzlei Noerr sieht in der DAS die Verantwortungslücke der Plattformen bei Direktimporten außerhalb der EU. Die Importe erfolgen ja direkt aus China, die Marktplatzhändler sind rechtlich daher nicht zu greifen, auch wenn inzwischen nach einer Temu-Verpflichtungserklärung die Kontaktdaten überprüft werden müssen.[4] Die Forderung nach einem EU-Sitz von jedem Versender ist kaum umzusetzen. Eine chinesische Fabrik gründet hier doch keine rechtsfähige juristische Person.  Auch die Durchsetzung geltenden Rechts ist langwierig und bei der Vielzahl von Anbietern auch nur in wenigen Fällen durchsetzbar, selbst wenn diese einen Sitz in der EU hätten. Auch Maßnahmen wie „Digitale Produktpässe“ und Datenbanken sind wenig nützlich. Diese können leicht per KI erstellt werden und eine Überprüfung ist nur in Ansätzen möglich. Grundsätzlich sind chinesische Prüfgutachten meist nicht werthaltig und entsprechen oft nicht der gelieferten Ware. Die chemische und physikalische Prüfung von Gebrauchsgütern kostet schnell einen hohen vierstelligen Betrag. Dieser wird von den Fabriken bei den oft geringen Stückzahlen aus wirtschaftlichen Gründen gespart. Testkäufe unterbleiben aus Kapazitäts- und Kostengründen in den letzten Jahren bei Importen aus China weitgehend. Die Testkosten müsste ja der Steuerzahler aufbringen. Die Höhe der Sanktionen bleibt ebenfalls offen.

Vielleicht gibt ein Blick auf die niedrigen Kosten einen Fokus auf Maßnahmen, die die Reverse Pricing Power noch einmal umdrehen. Die fehlenden Handelsmargen von Importeuren und europäischen Händlern sowie die geringere Kapitalbindung aufgrund niedriger Lagerbestände bleiben im Geschäftsmodell auf jeden Fall bestehen unabhängig von kommenden Maßnahmen. Der Fall der Zollfreigrenze erhöht die Kosten, jedoch sind in vielen Warengruppen die Zollsätze überschaubar, bei z.B. Textilien nur 8-12% und Möbel 0-5-6%[5]. Die Abschaffung der Zollfreigrenze wird als richtige Maßnahme folglich kaum große Auswirkungen haben. Auch die falschen Wertangaben werden nur bei entsprechend hohen Sanktionen ausbleiben. Die Begünstigung von China bei der Zustellung von Auslandspäckchen ist bereits seit 2019 schrittweise erhöht worden. Da selbst Billigartikel per Flugware die EU erreichen, kann von einer realistischen Kostenbelastung nicht ausgegangen werden. Dieser wirtschaftliche und ökologische Unsinn kann durch Streichung der Vergünstigungen für China zu einer drastischen Anpassung der Versandkosten führen. Wenn selbst die sehr kosteneffizienten Discounter Aldi und Lidl in ihren Onlineshops Versandgebühren nehmen müssen von 5,95 Euro[6] bei Versendung innerhalb Deutschlands, können die Kosten für Luftfracht aus China nur wesentlich höher liegen. Auch bei Alibaba gibt es je nach Produkt unterschiedliche Versandkosten, aber keine mit kostenloser Lieferung.[7] Der Preis für die Logistik ist der Hebel. Der Preis ist in einer Marktwirtschaft immer noch der beste Regulator zwischen Angebot und Nachfrage. Diesen zu nutzen, wäre die beste Maßnahme, um für mehr Marktfairness zu sorgen satt Verboten und Bürokratie.

Welche Maßnahmen wurden noch nicht angesprochen? Wenn der Flughafen Lüttich seine großzügigen Landekapazitäten reduziert, gibt es Probleme in der ausgefeilten Lieferkette. Diese recht unkonventionelle Maßnahme wurde bisher nicht andiskutiert. Um die deutschen Flughäfen haben Temu und Schein einen weiten Bogen gemacht. Auch könnte bei einer Vollkontrolle bei den bisherigen Zollkapazitäten die Lieferkette schnell ausgestoppt werden. Die Frachtjumbos könnten ihre Ware schlicht nicht entladen, das Zwischenlager am Flughafen Lüttich wäre schnell gefüllt. Hier wären nichttarifäre Handelshemmnisse neben den Transportkosten ein schneller Weg zur Reduzierung der Paketflut.

Aber der Preis wäre doch der beste Hebel, der Preis für Logistik. Der CEO von Shein sieht den Fall der Zollfreigrenze gelassen. Er will ja eh keine billigen Produkte verkaufen.[8] Donald Tung hat da wohl nur die niedrigen Zollkosten im Blick, nicht aber die Luftfracht.

[1] Vgl. https://www.ft.com/content/ac297f38-ffeb-4761-a79d-ac1246209bfe

[2] Vgl. https://www.wiwo.de/unternehmen/handel/chinesische-online-shops-kik-chef-kritisiert-temu-und-shein-halten-sich-nicht-an-recht-und-gesetz/29964646.html

[3] Vgl. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/temu-und-shein-die-abwehrstrategien-der-deutschen-konkurrenz-03/100048759.html

[4] Vgl. https://www.lebensmittelzeitung.net/politik/nachrichten/online-plattformen-hde-legt-forderungskatalog-zu-temu–co.-vor-179799

[5] Vgl. https://www.zoll.de/SharedDocs/Boxen/DE/Fragen/0082_beispiele_zollsaetze.html

[6] Vgl. https://www.lidl.de/c/versandkosten-und-lieferzeiten/s10007382#:~:text=Versandkostenpauschale,mehreren%20Paketen%20versandt%20werden%20muss.; https://www.aldi-onlineshop.de/versandkosten/

[7] Vgl. https://reads.alibaba.com/de/shipping/

[8] Vgl. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/shein-chef-donald-tang-unser-geschaeftsmodell-basiert-nicht-auf-zollvorteilen/100065358.html

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