Der Fall SHEGLAM bei dm ist ein Paradebeispiel dafür, wie stark Image, Markenwerte und Sortimentspolitik im modernen Handel ineinandergreifen – und wie dünn die Linie zwischen Kundennachfrage und Markenidentität geworden ist.
Strategischer Hintergrund
Mit der Aufnahme der SHEGLAM-Produkte, einer Kosmetikmarke des umstrittenen Fast-Fashion-Riesen SHEIN, reagiert dm auf eine klare Nachfrage junger Zielgruppen: trendige, günstige Beautyprodukte mit Social-Media-Hypefaktor. SHEGLAM ist auf TikTok omnipräsent – und steht für schnelle Produktzyklen, niedrige Preise und massenhafte Influencer-Empfehlungen.
Für dm bedeutet der Schritt:
- Zugang zu einer jungen, digital geprägten Käuferschicht, die über Social Media und hier insbesondere TikTok stark beeinflusst wird.
- Erweiterung des Eigen- und Fremdmarkenportfolios im unteren Preissegment.
- Relevanzsteigerung in der Gen Z, die zunehmend zu Temu, Shein & Co. abwandert.
Image- und Werte-Spannung
dm positioniert sich seit Jahren als nachhaltige, werteorientierte Drogeriekette, die Verantwortung und Transparenz betont. Die Aufnahme einer Marke aus dem SHEIN-Konzernnetzwerk wirkt daher zunächst wie ein Bruch mit der Marken-DNA von dm:
- SHEIN steht für Ultra-Fast-Fashion, mangelnde Transparenz in Lieferketten und ökologische sowie soziale Kritikpunkte.
- dm wirbt mit Nachhaltigkeit, sozialer Verantwortung und Fairness – zentral in der Unternehmensphilosophie nach Götz W. Werner.
Dieser Widerspruch erklärt den massiven Shitstorm in sozialen Medien. Viele Konsument:innen empfinden den Schritt als Werteverwässerung, selbst wenn die Produkte formal allen EU-Vorgaben entsprechen.
Einordnung durch Handelsexperten
Handelsexperten wie Andreas Kaapke verweisen darauf, dass rechtliche Standards eingehalten werden müssen – insbesondere das europäische Cosmetic Product Notification Portal (CPNP) und das Lieferkettengesetz.
dm betont, dass unabhängige Prüfungen vorgenommen wurden und SHEGLAM die Kriterien erfülle. dm hat ein starkes Qualitätsmanagement, die Produkte werden allen Vorschriften genügen.
Das ist aus regulatorischer Sicht stimmig – aus Reputationsperspektive aber nur die halbe Wahrheit:
Der Konsument bewertet nicht die Zertifikate (Vertrauen und Wahrnehmung ist gering einzuschätzen), sondern das Markengefühl. Und dieses steht bei SHEGLAM diametral zu dm’s sonstiger Markenwelt mit alverde, denkmit, lavera oder Weleda.
Reputationsrisiko vs. Umsatzchancen
Kurzfristig könnte SHEGLAM für Impulskäufe und Frequenz sorgen, ähnlich wie Trendmarken bei Rossmann (z. B. Revolution oder essence).
Langfristig aber droht eine Erosion der Markenidentität:
Wenn dm zu beliebig in seiner Sortimentspolitik wird, verliert die Marke ihre moralische Kohärenz – ein zentraler Erfolgsfaktor im Vertrauen der Kundschaft.
Mein Fazit:
dm steht hier vor einem klassischen Dilemma zwischen Markt und Moral:
- Einerseits verlangt der Wettbewerb, junge Zielgruppen mit trendigen Produkten zu binden.
- Andererseits gefährdet genau dieser Schritt das Markenversprechen, das dm über Jahrzehnte aufgebaut hat.
Die Kernfrage lautet also nicht, ob SHEGLAM-Produkte sicher sind – das sind sie nach EU-Recht zweifellos.
Sondern: Verträgt sich der schnelle Konsum mit der langsamen, werteorientierten Marke dm?