Innovation, Wettbewerb und kreative Zerstörung im digitalen Zeitalter
Der Wirtschaftsnobelpreis 2025 ging an Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt – drei Ökonomen, die erforscht haben, wie technischer Fortschritt wirtschaftliches Wachstum antreibt. Ihre Arbeiten drehen sich um eine Frage, die auch den Handel gerade massiv beschäftigt:
Wie entsteht Innovation – und was verhindert sie?
- Innovation braucht Wissen, Technik und offene Rahmenbedingungen
Joel Mokyr zeigte in jahrzehntelanger Forschung, dass Innovation nur dann dauerhaft entsteht, wenn drei Dinge zusammenkommen:
- Wissen – also nicht nur zu wissen, dass etwas funktioniert, sondern warum es funktioniert.
- Technische Umsetzungskraft – Unternehmen brauchen Menschen (mit ihrem Know-how) und Strukturen, die Ideen auch praktisch realisieren.
- Offene Institutionen – also ein Umfeld, das Neues erlaubt und nicht bestraft.
Für den Handel bedeutet das: Es reicht nicht, einfach neue Technologien einzukaufen. Entscheidend ist, ob die Organisation lernt, versteht und experimentiert.
Beispiele zeigen das deutlich:
- REWE und EDEKA testen Smart Carts: Neue Einkaufswagen mit digitalem Display und Scan-Funktion verändern den gesamten Checkout-Prozess – aber nur, weil Technik, Datenanalyse und Kundenfeedback zusammenspielen.
- Rossmann oder dm entwickeln eigene Apps mit Coupons, Rezeptvorschlägen und Rabattfunktionen. Dahinter steht mehr als IT – es geht um Lernprozesse, wie Kundinnen und Kunden digital wirklich einkaufen wollen.
- IKEA Hongkong oder Don Don Donki Japan zeigen, wie Handelsunternehmen Daten, Gestaltung und Technik verbinden, um vor Ort digitale Erlebnisse zu schaffen.
- „Kreative Zerstörung“ – warum alte Strukturen weichen müssen
Philippe Aghion und Peter Howitt beschreiben Innovation als ständigen Kreislauf von Erneuerung und Verdrängung. Neue Ideen setzen sich nur durch, wenn sie bestehende Strukturen infrage stellen dürfen. Das nennt Schumpeter „kreative Zerstörung“.
Im Handel erleben wir das täglich:
- Onlineplattformen wie Zalando oder About You haben klassische Filialkonzepte verändert – und zwingen stationäre Händler zu neuen Strategien.
- Temu oder Shein drängen mit aggressiv digitalisierten Lieferketten in Märkte, die lange stabil wirkten. Selbst etablierte Plattformen wie Amazon kommen unter Druck.
- Gleichzeitig entstehen neue Modelle: Second-Hand-Apps wie Vinted, Marken-Communities auf TikTok oder digitale Prospektplattformen wie Bonial und Marktguru verändern die Wege zum Kunden.
- Action setzt mit einer klugen Expansionsstrategie und ausgefeilten Sortimenten selbst bei den eher langweilig erscheinenden Warengruppen und rein stationärem Ansatz Ausrufezeichen im Handel.
Aghion und Howitt betonen: Wettbewerb ist kein Problem, sondern die Triebfeder des Fortschritts – solange Innovation belohnt (hier müssen die Anreize passen) und nicht blockiert wird. Das gilt auch für den Handel: Nur wer neu denkt, bleibt relevant und überlebt am Ende.
- Was der Handel konkret tun kann
Aus der Nobelpreisforschung lassen sich klare Handlungsempfehlungen ableiten:
- Lernräume schaffen: Erfolgreiche Händler investieren in Teams, die ausprobieren dürfen – etwa mit Pilotmärkten (z.B. der Lidl Nonfood-Store in Lostetten), Test-Apps oder neuen Checkout-Formaten.
- Wissen teilen: Digitale Innovation entsteht im Austausch – mit Start-ups, Hochschulen und Partnern. Kooperationen wie die zwischen Bonial und der DHBW Heilbronn oder auch Handelsdienstleistern wie Wanzl und der DHBW Heilbronn zeigen, wie wissenschaftliche Daten und Praxiswissen sich ergänzen. Reines Silodenken ist nicht gefragt. Viele Händler scheuen hier noch den Austausch und beteiligen sich kaum an Netzwerken.
- Mut zur Veränderung: Wer zu lange an bestehenden Formaten festhält, wird überholt. Das gilt für Sortimente ebenso wie für Technologien. Das gilt gerade für die eher konservativ geführten Händler wie z.B. Aldi.
- Offene Kultur fördern: Führungskräfte sollten Fehler als Lernchancen sehen – denn jede gescheiterte Innovation liefert Daten für die nächste.
Fazit
Der Wirtschaftsnobelpreis 2025 erinnert daran, dass Innovation kein Zufall ist (nach Christensen „Besser als der Zufall“). Sie entsteht dort, wo Wissen wächst, Technik umgesetzt und Wandel zugelassen wird.
Für den Handel heißt das: Zukunftsfähigkeit entsteht nicht durch kurzfristige Projekte und Projektteams, schon gar nicht durch das tägliche Hamsterrad des operativen Geschäftes sondern durch eine Kultur des fortlaufenden Lernens und Experimentierens.
Oder, wie Aghion es formuliert:
„Innovation ist kein Moment – sie ist ein Prozess.“
Quellen:
Nobel Prize Committee (2025): Prize in Economic Sciences – Press Release. nobelprize.org
Northwestern University (2025): Joel Mokyr Wins Nobel Prize in Economics.
Nature (2025): Creative destruction theory and the future of innovation.