Wer kennt das nicht: Heiligabend rückt langsam näher und es fällt einem partout nichts ein, was man der Oma dieses Jahr schenken soll. Es ist dasselbe wie jedes Jahr. Letztes Weihnachten bekam sie einen teuren Raclette-Grill, welcher seitdem originalverpackt in irgendeinem Schrank steht. Auch Leser dieses Blogs werden schon die Erfahrung gemacht haben, etwas geschenkt bekommen zu haben, wofür man selbst viel weniger Geld auszugeben bereit gewesen wäre als der Schenker tatsächlich ausgegeben hat.
Was hat aber dieses zutiefst menschliche Erlebnis nun mit Ökonomie zu tun? Um es vorwegzunehmen: ganz viel. Wir landen damit beim Unterschied von Preis und Wert eines Gutes. Der Preis, der für den Kauf des oben genannten Raclette-Grills gezahlt werden muss, könnte beispielsweise bei 80 Euro liegen. Diesen Betrag muss der Geber für den Erwerb des Geschenks ausgeben. Für die Beschenkte liegt der Wert des Gutes vielleicht nur bei 30 Euro. Dies ist der Betrag, den sie selbst maximal ausgegeben hätte. Mit der Schenkung sind jetzt gewissermaßen 50 Euro verloren gegangen – die Differenz zwischen dem gezahlten Preis und der Wertschätzung durch den Beschenkten. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von einem Wohlfahrtsverlust. Wenn man nun unterstellt, dass die Wertschätzung der Beschenkten für die erhaltenen Gaben 20 Prozent unter dem bezahlten Preis liegt, kommt es allein in Deutschland – bei Ausgaben für Weihnachtsgeschenke von 20 Mrd. Euro – im Zuge des Weihnachtsgeschäfts zu einer Wertvernichtung von 4 Mrd. Euro.
Wie kann das Problem gelöst werden? Man könnte beispielsweise Gutscheine verschenken, damit der Beschenkte bei der Auswahl des Geschenks eine Mitsprache hat. Sie wissen von ihrem Patenonkel, dass er gerne Wein trinkt, sind aber selbst kein Weinexperte. Statt ihm jetzt ein paar Flaschen zu kaufen und möglicherweise grandios neben seinem Geschmack zu liegen, schenken sie ihm einen Gutschein über 100 Euro für eine gut sortierte Weinhandlung. Dann kann er sich seine bevorzugten Weine selbst aussuchen. Seine Präferenzen im Hinblick auf Wein werden so besser erfüllt.
So gut diese Vorgehensweise auch scheint, Sie haben das Ausgangsproblem damit bestenfalls gelindert, nicht aber gelöst. Ihr Patenonkel kann die 100 Euro zwar optimal für die Weinauswahl einsetzen, vielleicht möchte er dieses Jahr aber überhaupt keinen Wein, weil sein Keller noch gut gefüllt ist oder er seinen Weinkonsum einschränken möchte. Sie zwingen ihm jetzt ein Geschenk für 100 Euro auf, welches er aber nicht in gleichem Maße wertschätzt. Größter Nutznießer von Gutscheinen sind deshalb häufig die Verkäufer, weil ein nennenswerter Teil der Gutscheine niemals eingelöst wird.
Was tun? Ökonomen haben hierfür eine Standardantwort (und Sie werden sich auch schon denken, welche): Schenken Sie doch einfach Geld, mithin einen universell einsetzbaren Gutschein. Dann kann der Beschenkte sich das kaufen, was ihm am wichtigsten ist, was ihm also den höchsten Nutzen stiftet. Der homo oeconomicus wäre zufrieden, die Wohlfahrt maximiert. Also weg mit dem Raclette-Grill oder dem Gutschein für die Weinhandlung und her mit dem Geldkuvert (das gilt im Übrigen auch für einen Amazon-Gutschein angesichts des praktisch unbeschränkten Güterangebots dort). Damit wird die Ökonomie aber einmal mehr ihrem schlechten Ruf als seelen-, gefühls- und freudlose Wissenschaft gerecht. Denn wer will schon an Weihnachten nur mit Schleifen versehene Kuverts, gefüllt mit Geldscheinen, öffnen? Eine durchaus traurige Vorstellung…Und stellen Sie sich einmal vor, Ehepartner schenken sich gegenseitig Kuverts mit jeweils 100 Euro Inhalt. Dann wird das Schenken natürlich vollkommen absurd und man sollte am besten gänzlich darauf verzichten.
Um trotzdem eine Lanze fürs traditionelle Schenken zu brechen, muss man sich schon auf das Gebiet der Verhaltensökonomie begeben, einem noch relativen jungen Zweig der Wirtschaftswissenschaft. Beim Schenken geht es ja nicht nur darum, dem anderen materiellen Nutzen zu stiften. Geschenke stellen demnach „soziales Kapital“ dar, sie schaffen Vertrauen und Zusammenhalt. Die Schenkenden wollen mit dem Geschenk ja auch etwas über sich selbst aussagen, beispielsweise wie aufmerksam oder phantasievoll sie sind. In der Verhaltensökonomie wird hierfür der Begriff des signaling verwendet.
Der amerikanische Ökonom Joel Waldfogel, auf den diese Überlegungen zurückgehen (Joel Waldfogel (1993): The Deadweight Loss of Christmas, in: Amercian Economic Review, Vol. 83, Nr. 5, S.1328 ff) hat deshalb folgende Empfehlung für Weihnachten ausgesprochen:
„Das ideale Weihnachtsgeschenk ist ein sorgfältig ausgewähltes Produkt, das dem Empfänger Freude bereitet, ihr oder ihm eine neue Konsummöglichkeit eröffnet und zudem dafür sorgt, dass zwischen Geber und Empfänger herzliche Gefühle strömen. Dem Empfänger eine Freude zu bereiten, bedeutet, ihm (oder ihr) etwas zu liefern, das er sich gewünscht hätte, wenn er davon gewusst hätte. Kurz gesagt: Das ideale Geschenk ist besser als Bargeld.“ (zitiert nach J. Waldfogel (2011): Warum Sie diesmal wirklich keine Weihnachtsgeschenke kaufen sollten, München.)
Frohe Weihnachten!