Handels

Zeitwende im Bio-Fachhandel

von Prof. Dr. Stephan Rüschen und Julia Schumacher
13.11.2023

Der Bio-Markt musste nach Jahren des Wachstums in 2022 einen deutlichen Umsatzrückgang verzeichnen. In 2023 stabilisiert sich der Umsatz, jedoch inflationsbedingt mit einem deutlichen Mengenminus.

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[1]     Eigene Darstellung nach Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. [BÖLW] 2023, zitiert nach de.statista.com.

Der Anteil des Bio-Umsatzes an Gesamt ist 2022 erstmalig deutlich zurückgegangen und liegt mit 6,8% deutlich unter dem politischen Ziel ‚30% Bio bis 20230‘.

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[1]     Eigene Darstellung nach CPS GfK 2023a, S. 1, 2023d, S. 4.

 
Der Anteil der Bio-Handelsmarken ist in den letzten beiden Jahren sprunghaft angestiegen
und weist auch einen deutlich höheren Anteil auf wie bei konventionellen FMCG.
 
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Abb. 3:  Umsatzanteile von Handelsmarken und Herstellermarken an Bio-Lebensmitteln

Der Anteil des Bio-Fachhandels am Bio-Umsatz sank schon in den letzten 10 Jahren um ca. 1% pro Jahr. In 2022 und 2023 sind diese Rückgänge aber deutlich höher.

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Abb. 4:  Umsatzanteile für Öko-Lebensmittel in Deutschland nach Absatzebenen, FC 2023 Eigene Einschätzung

Gewinner sind im LEH v.a. die Discounter und die Drogerien. Der LEH hat seine Bio-Aktivitäten (Handelsmarken, Verbandware und Kommunikation) deutlich intensiviert.

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Abb. 5:  Bio-Umsatzanteile nach Vertriebsschienen

Der Bio-Fachhandel steht vor einer existenziellen Krise und droht, in der Belangslosigkeit zu versinken.

Auf Basis von 13 Expert:inneninterviews wurden im Whitepaper der DHBW Heilbronn 3 Handlungsoptionen für den Bio-Fachhandel ermittelt:

  1. Organisation des Bio-Fachhandels als genossenschaftliches System analog der Edeka oder Rewe
  2. ‚Whole Foods-Ansatz‘, d.h. Positionierung als Anbieter von gesunden Lebensmitteln mit einem hohen Bio-Anteil (aber nicht mehr 100%)
  3. Community-Ansatz: Kund:innen als Mitglieder oder Genossen der eigenen Einkaufsstätte binden und involvieren.

Eine ausführliche Analyse des Bio-Marktes und des Bio-Fachhandel findet sich im Whitepaper #27 ‚Zeitenwende im Bio-Fachhandel‘ der DHBW Heilbronn (53 Seiten, 39 Abbildungen). Das Whitepaper kann unter https://handel-dhbw.de/schriftenreihe/whitepaper/zeitenwende-im-bio-fachhandel/ kostenlos heruntergeladen werden.

Die Studie fomuliert 10 Thesen für den Bio-Fachhandel:

 

10 Thesen zur weiteren Entwicklung des Bio-Marktes

  1. Der Bio-Markt wird vermutlich auch noch die Jahre 2024-2026 mit den Folgen des Ukraine-Konfliktes (und weiteren Krisen) konfrontiert sein.
  2. Nachhaltigkeit bleibt für die Kund:innen ein relevantes Kaufkriterium und wird sich aufgrund der spürbaren Folgen des Klimawandels in 2-3 Jahren wieder verstärken.
  3. Der konventionelle LEH (Vollsortimenter, Discounter und Drogerien) wird weiterhin kontinuierlich an Marktanteilen gewinnen – vermutlich in größeren ‚Schritten‘ – und somit den Bio-Fachhandel weiter verdrängen.
  4. Handelsmarken haben im Bio-Markt eine überdurchschnittliche Bedeutung. Ein Bio-Händler benötigt daher ein kompetentes Bio-Handelsmarkensortiment.
  5. Die Fachhandelstreue von Bio-Markenartikelherstellern erodiert zunehmend und bietet somit dem Bio-Fachhandel nur noch eine geringe Differenzierungsmöglichkeit ggü. dem konventionellem LEH. Die Verbände (Naturland, Bioland, Demeter) sind schon längst nicht mehr fachhandelstreu.
  6. Der Biomarkt befindet sich seit 2022 in einem Konsolidierungsprozess, sowohl auf der Bio-Fachhandelsseite als auch bei den Bio-Herstellern. Zum einen ist mit einer Konzentration (Übernahmen) im Bereich der Bio-Supermärkte zur rechnen, zum anderen wird die Anzahl selbstständiger Naturkostfachgeschäfte und Bio-Markenhersteller zurückgehen.
  7. Der Bio-Fachhandel sollte seine Positionierung schärfen, um im Wettbewerb mit dem LEH langfristig bestehen zu können.
  8. Drei Differenzierungsansätze wurden aus den Expert:inneninterviews gebildet:
    Umstrukturierung des Bio-Fachhandels auf ein genossenschaftliches ‚Edeka-Modell‘
    2. ‚Community-Ansatz‘ – Kund:innen als Teil des Bio-Ladens
    3. ‚Whole-Food Ansatz‘: Gesunde, natürliche und nachhaltige Lebensmittel (und nicht 100% Bio).
  9. Zur Erreichung des Zieles ‚30 Prozent Bio in 2030‘ sollte auch der Out-of-Home Markt deutlich intensivere Anstrengungen unternehmen. Des Weiteren sollten klassische Markenartikler konsequent Bio-Produkte unter ihrer Brand führen, damit Konsument:innen Bio-Produkte von ihren bekannten und vertrauten Marken kaufen können.
  10. Die Zielsetzung ‚30 Prozent Bio-Anteil bis 2030‘ ist ohne Eingriffe (z. B. Senkung der MwSt.) und Unterstützung des Staates (z. B. Subventionssteuerung) nicht realistisch.

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