Eine Frage, über die sich immer wieder heftiger Streit in der Öffentlichkeit wie in der politischen Arena entzündet, ist die nach dem richtigen Umfang der Staatstätigkeit. Für die einen mischt sich die öffentliche Hand zu sehr in die Angelegenheiten der Bürger und Unternehmen ein und behindert damit private Aktivitäten und Innovationsfreude. Für die anderen tut er zu wenig und sorgt damit für soziale Ungerechtigkeiten und einen Mangel an öffentlichen Leistungen.
Objektiv beantworten lässt sich die Frage, wie viel Staat in einer marktwirtschaftlichen Ordnung richtig ist, nicht. Letztlich ist der Umfang der Staatstätigkeit Ausfluss politischer Entscheidungen, die immer wieder von neuem ausgehandelt werden müssen. Ökonomen versuchen aber, den Staatseinfluss zu quantifizieren und daraus Rückschlüsse beispielsweise auf das Wirtschaftswachstum zu ziehen.
Das gebräuchliche Maß, um den staatlichen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen zu beziffern, ist die Staatsquote. Sie setzt alle staatlichen Ausgaben – mithin vor allem Realausgaben wie Güterkäufe und Personalausgaben sowie Transferzahlungen – ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung eines Landes, ermittelt anhand des Bruttoinlandsproduktes. 2024 lag die Staatsquote in Deutschland bei 49,5 Prozent nach 48,4 Prozent im Vorjahr. Mit anderen Worten, jeder zweite Euro, der hierzulande erwirtschaftet wird, wandert durch die Kassen der öffentlichen Hand. Zum Vergleich: Zwischen 1991 und 2024 lag der Wert im Durchschnitt bei 47,3 Prozent. Der jüngste Anstieg hatte insbesondere zwei Ursachen: Zum einen den Anstieg von Sozialleistungen wie Renten oder Bürgergeld sowie höhere Ausgaben im Gesundheitsbereich. Zum anderen das stagnierende BIP. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland im Mittelfeld. Die höchste Staatsquote in der EU wies Finnland mit 57,6 Prozent auf, die niedrigste Irland mit 23,5 Prozent.
Allerdings unterzeichnet die Staatsquote den tatsächlichen Umfang staatlicher Eingriffe. Erfasst werden nämlich nur budgetwirksame Maßnahmen, also solche, die mit Ausgaben verbunden sind. Nicht-budgetäre Kosten staatlichen Handelns bleiben dagegen in dieser Maßzahl unberücksichtigt. Zu nennen sind unter anderem
- Wohlfahrtsverluste infolge staatlicher Regulierung. Ein anschauliches Beispiel ist die Mietpreisbremse. So nachvollziehbar ihre Einführung aus sozialpolitischen Gründen auch sein mag, so ist doch unter Fachleuten unumstritten, dass dadurch die Investitionsbereitschaft in den Wohnungsbau gehemmt wird. Weniger Wohnungen schlagen sich nicht in der Staatsquote nieder, stellen aber Kosten eines staatlichen Markteingriffs dar.
- Steuerkosten („tax expenditures“). Auch hierzu ein Beispiel. Familien mit Kindern werden hierzulande vor allem durch Kindergeld oder Freibeträge in der Einkommensteuer finanziell unterstützt (das Finanzamt ermittelt jeweils die für die Familien günstigere Variante). Eine Kindergelderhöhung ist jedoch unmittelbar budgetwirksam und schlägt sich damit in einer Erhöhung der Staatsquote nieder. Eine Erhöhung des Kinderfreibetrages hat zwar prinzipiell dieselbe Wirkung auf das verfügbare Einkommen einer Familie, ist aber nicht budgetwirksam, weil kein Geld vom Staat an die privaten Haushalte fließt, sondern die Haushalte weniger an den Staat abführen. Präziser formuliert: Während die Kindergeldzahlungen an die einkommensschwächeren Haushalte die Staatsquote erhöhen, wirkt sich die Inanspruchnahme des Kinderfreibetrags durch die einkommensstärkeren Haushalte nicht darauf aus. Die Staatsquote wird dadurch verzerrt.
- Bürokratieüberwälzungskosten. Die für die staatliche Verwaltung aufgewendeten Mittel erhöhen die Staatsquote, nicht aber diejenigen, die staatlicherseits auf private Haushalte und Unternehmen übertragen wurden. Exemplarisch seien hier der Aufwand für Steuererklärungen oder für das Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen genannt.
- Folgekosten staatlicher Regulierung. Beispielhaft können hier staatlich errichtete Marktzutrittsschranken (z.B. Meisterbrief) und komplizierte Zulassungsverfahren (z.B. für die Errichtung von Windrädern) angeführt werden.
Der öffentliche Einfluss auf eine Volkswirtschaft geht also vermutlich deutlich über das hinaus, was die Staatsquote suggeriert. Dennoch ist eine hohe Staatsquote nicht per se gut oder schlecht. Aus ökonomischer Sicht kommt es vielmehr darauf an, wofür der Staat das Geld verwendet. Es geht im Kern um die Ausgabenstruktur. Holzschnittartig formuliert sind Investitionen und Ausgaben für Bildung und Wissenschaft tendenziell wachstumsfördernd, während Sozialausgaben als weniger produktiv gelten. Im Bundeshaushalt entfällt gegenwärtig ca. die Hälfte der Ausgaben auf den Bereich „Soziale Sicherung, Familie/Jugend und Arbeitsmarkt“, wobei der Zuschuss des Bundes zur Gesetzlichen Rentenversicherung den Löwenanteil ausmacht.
Das veränderte geopolitische und geoökonomische Umfeld dürfte in den kommenden Jahren in Deutschland zu mehr Staatsausgaben und vermutlich zunächst auch zu einer höheren Staatsquote führen. Mit der Lockerung der Schuldenbremse sind die Grundlagen dafür gelegt. Entscheidend für den wirtschaftlichen Nutzen dürfte aber sein, wie effizient die Mittel eingesetzt werden, Stichwort Bürokratieabbau. Im Idealfall sorgen die steigenden Staatsausgaben langfristig sogar für eine rückläufige Staatsquote, wenn nämlich das BIP schneller zunimmt als die staatlichen Ausgaben. Dafür muss der öffentliche Sektor aber zunächst seine Hausaufgaben machen.