In einem Markt, der von schnellen Lieferzeiten und hartem Wettbewerb geprägt ist, setzt ein neues Konzept auf das, was vielen Menschen heute fehlt: Gemeinschaft und Vertrauen. „Local Fridge Friends“ bietet nicht nur eine praktische Lösung für den Einkauf in ländlichen Gebieten, sondern schafft ein Netzwerk, das Nachbarn zusammenbringt und die lokale Versorgung stärkt. Könnte dies der nächste große Schritt im e-Food-Markt sein? Das Konzept wurde von den Studierenden des DCM22A1-Kurses im Rahmen der Vorlesung “Fulfillment/Letzte Meile” entwickelt.
Bequem von zuhause oder unterwegs per Mausklick einkaufen und in kürzester Zeit geliefert bekommen – In den Online-Warenkörben der Deutschen finden sich längst nicht nur Non-Food-Artikel. Immer mehr Unternehmen wagen sich in den E-Food Markt. Doch wie genau sieht dieser Markt aus, welche Teilnehmer gibt es und wie kann man sich gegen diese durchsetzen? Wir haben uns mit diesen Fragen beschäftigt und ein Konzept entwickelt, das den E-Food Markt revolutionieren könnte.
Der E-Food Markt in Deutschland
Der deutsche E-Food Markt bietet vielfältige Konzepte, um die “letzte Meile” zu überwinden. Klassische Quick-Commerce-Konzepte wie Getir versprechen Lieferung innerhalb von zehn Minuten[1]. Artikel werden in Dark Stores gepickt und per Fahrradkurier geliefert. Doch diese kurzen Lieferzeiten sind schwer einzuhalten. Unternehmen wie Flink und Gorillas kämpfen zunehmend ums Überleben. So wurde zuletzt zwar Gorillas von Getir übernommen, jedoch hat dieser gleichzeitig sein Liefergebiet von 23 auf sechs Städte reduziert. [2] Bofrost und Eismann beliefern seit Jahren Kunden nach dem Milchmanninzip. Ihre Lieferungen erfolgen nach fest geplanten Routen, zwar ohne Same-Day-Delivery, jedoch mit der Möglichkeit noch vor Ort beim Kurier zu bestellen. [3] Handelsmarken wie Rewe, Edeka und dm versuchen ebenfalls, sich auf dem Markt zu profilieren. Sie beliefern Quick-Commerce-Unternehmen und bieten mit Click & Collect einen weiteren Service an. Ein klarer Vorteil von dm ist dabei, dass er mit seinen stationären Geschäften 80% der deutschen Haushalte erreicht. Das sind jene Haushalte, die weder Getir, Picnic noch Bringmeister in ihren Liefergebieten abdecken. [4]Ein besonderes Konzept bietet auch HelloFresh. Mit seinen Kochboxen liefert es über den Postweg Rezepte und Zutaten direkt an die Haustür. Ein Abo System bindet dabei die Kunden und erleichtert ebenfalls die Planung der Bestellungen im Voraus[5]. Viele Konzepte wetteifern um den Marktanteil, doch welches hat langfristig das größte Potenzial?
Neue Konzepte – Goldmine oder Questionable?
Um das beste Konzept zu identifizieren, haben wir fünf Konzeptideen mithilfe einer Attraktivitätsmatrix gegenübergestellt.
Mobile Bäckerei: Frische Brötchen am Morgen, ohne das Haus verlassen zu müssen – ein Lieferkonzept für lokale Bäckereien. Regionale und frische Produkte sind sehr beliebt, warum also nicht per Milchmann-Prinzip ausliefern? Aufgrund der geringen Margen sind Bestellungen allerdings erst bei großen Mengen rentabel und kostenintensive Rahmenbedingungen durch Hygienevorschriften bei der Lieferung der unverpackten Produkte erschweren die Rentabilität zusätzlich. Aufgrund des Risikos und den Herausforderungen ordnen wir es zwischen Questionable und Moonshot ein.
Lebensmittelboxen: Bei einer Ernährungsumstellung kann der Weg zum Supermarkt gleich zu einer großen Herausforderung werden. Mit angepassten Lebensmittelboxen lässt sich das vermeiden. Ähnlich wie bei Hello Fresh und Co. jedoch viel individueller mit Online-Kochkursen um die Inspiration anzukurbeln. Wir sehen hier ein recht hohes Marktpotenzial, doch der Nutzerkreis ist zu spezifisch und klein, weshalb es für uns ein Moonshot ist.
Zero-Waste: Ein Zero-Waste-Lieferservice, bei dem unverpackte Food und Non-Food Waren nach dem Milchmann-Prinzip in Mehrwegboxen ausgeliefert werden. Wir haben es als Questionable eingeordnet, da das Potenzial aufgrund der Attitude Behavior Gap niedrig ist und ebenfalls viele Vorschriften beachtet werden müssen.
B2B Service: Das nächste Konzept bietet Unternehmen einen B2B-Lieferservice für Mitarbeiter im Homeoffice. Die Mittagspause ist kurz, jedoch kann auf eine Mahlzeit nicht verzichtet werden. Die Belieferung von Ready-to-heat Meals haben wir als Quick Win kategorisiert. Es ist leicht umsetzbar, allerdings hängt der Erfolg von den teilnehmenden Unternehmen ab. Vielleicht wäre es zu Corona Zeiten geboomt – heute eher weniger.
Local Fridge Friends / Crowd-Sourcing: Betrachten wir das letzte Konzept. Local Fridge Friends ist eine Art Crowd-Sourcing-Lieferung. Kunden posten ihre Einkaufszettel auf einer Plattform, Nachbarn erledigen die Einkäufe und liefern diese bis vor die Tür. Ähnliche Konzepte haben sich zwar schon im Ausland erfolgreich am Markt etabliert, in Deutschland zeigt sich aber eine klaffende Marktlücke, die gefüllt werden könnte. Wir sehen dieses Konzept als Goldmine, die den Nachbarschaftszusammenhalt fördert und zusätzlich die sonst außenvorstehende Demografie älterer Menschen anspricht. Der Aufbau einer starken Community kann durch Anreize gefördert werden um dieses Konzept nachhaltig umzusetzen.
Ein Konzept mit Zukunft
Local Fridge Friends richtet sich an Personen mit Zeitmangel, ohne eigenes Fahrzeug und Anwohner ländlicher Gebiete, denen der Luxus eines nahestehenden Supermarktes verwehrt bleibt. Der USP liegt in der Schaffung einer unterstützenden Gemeinschaft, die über den reinen Einkauf hinausgeht und ein Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit vermittelt. “Local Fridge Friends: Gemeinsam einkaufen, gemeinsam wachsen!” In der App offen einsehbare Rezensionen und Bewertungen der Lieferanten geben Kunden das nötige Gefühl von Sicherheit und Vertrauen, um sich an ihre Bestellungen zu wagen noch bevor sie den Lieferanten besser kennengelernt haben. Das Nutzenversprechen ist daher eine praktische Lösung für den Einkaufsbedarf in ländlichen Gebieten zu schaffen. Gemeinsam entsteht eine Community, die sich gegenseitig sozial unterstützt. Die Wertschöpfungskette umfasst mehrere Schritte: Die Artikel werden auf der Plattform aufgelistet und können so von den Nutzern zu ihren Einkaufszetteln hinzugefügt werden. Die Einkaufszettel werden in der App anonymisiert veröffentlicht, dass die Lieferadresse nicht direkt ersichtlich wird indem stattdessen ein Umkreis angezeigt wird. Ein Nachbar kann sich diesen Einkauf zuweisen und Kontakt zum Nutzer über eine Chat-Funktion aufnehmen. Der Nutzer wird über die App darauf hingewiesen, dass sein Einkauf bearbeitet wird und erhält regelmäßige Updates. Sobald der Einkauf am Zielort ist, wird der Kaufprozess abgeschlossen. Der Nachbar bezahlt den Einkauf per Local Fridge Friends App und erhält seine Bezahlung.
Rentabilität – top oder flop?
Es fragt sich in welcher Region wir unser auf die Gemeinschaft fokussiertes Konzept pilotieren. Lokal bietet sich dabei der Ostalbkreis an. Mit seinen circa 319.000 Bewohnern auf 42 Gemeinden und ungefähr 150.000 Hektar finden wir hier unsere primäre Zielgruppe, die ländlichen Haushalte.[6] Rund 273.000 Personen sind zwischen 15 und über 65 Jahren alt und werden von uns als potenzielle Kunden angesehen.[7] Mit einer Annahme von durchschnittlich 2,09 Personen pro Haushalt nach dem statistischen Bundesamt gehen wir von 130.600 Haushalten, bei 2,4 Personen pro Haushalt nach dem statistischem Landesamt Baden-Württemberg von ungefähr 113.750 Haushalten aus. [8] [9] Für die Rechnung wurde dabei der Mittelwert von 112.175 Haushalten und als konservative Annahme der tatsächlichen Beanspruchung unserer App auf 3% der potenziellen Haushalte gesetzt. Dies bringt uns auf rund 3.665 Bestellungen pro Woche oder ungefähr 610 Bestellungen pro Tag – die Zahlen scheinen dabei zunächst recht hoch für ein “Start-up”, jedoch ist zu beachten, dass diese Zahlen sich auf die zuvor beschriebenen 42 Gemeinden beziehen. Es sind also “nur” 14 Bestellungen pro Gemeinde am Tag.
Um die Rentabilität zu beschreiben beachten wir zwei Optionen: die Auslieferung der Einkaufszettel über eigene Lieferanten und über Mitglieder der Nachbarschaft. Grundsätzlich ist zu sagen, dass mindestens 107 Bestellungen pro Tag bei eigenen Lieferanten und 78 Bestellungen pro Tag bei Lieferanten aus der Nachbarschaft getätigt werden müssen, um die ersten Gewinne zu erzielen. Diese Anzahl an Bestellungen zu erreichen ist gut zu realisieren – vor allem mit den intensiven Marketingmaßnahmen, die getätigt werden. Doch wie setzt sich unser Gewinn zusammen?
Zunächst zum Umsatz: den Großteil der Bevölkerung Baden-Württembergs machen Menschen im Rentenalter aus.[10] Da sie ein Kern unserer Zielgruppe sind und oft begrenzte Budgets haben gehen wir von einem durchschnittlichen Warenkorb in Höhe von 80€ pro Bestellung aus. Jedoch profitieren wir nicht direkt vom Warenkorb selbst sondern erhalten eine Provision von den Lebensmittelhändlern, Einnahmen durch Servicegebühren sowie Werbegebühren als auch der Verkauf anonymisierter Nutzungs- und Einkaufsdaten.
Unsere Kosten variieren aufgrund der oben beschriebenen Optionen von eigenen Lieferanten und Lieferanten aus der Nachbarschaft. Grundsätzlich sind wesentliche Kostenpunkte die erstatteten Spritkosten, die Pauschale pro Bestellung, Investitionen wie die Entwicklung der App sowie dem Marketing und Mitarbeiter der IT und des Kundenservices. Der Unterschied zwischen unseren Lieferanten und den Lieferanten aus der Nachbarschaft liegt im Kern der Bezahlung. Erstere erhalten bei uns einen Stundenlohn, letztere einen Prozentsatz des Warenkorbwertes.
Wer sich für die genauen Zahlen interessiert: hier eine kleine Übersicht zum Gewinn pro Bestellung bei den angesprochenen 610 Bestellungen am Tag.
Wird “Local Fridge Friends” den E-Food Markt revolutionieren?
Die Frage wird erst beantwortbar sein, wenn sich die Plattform etabliert hat. Local Fridge Friends zielt auf unterversorgte Zielgruppen ab. Besonders in ländlichen Gebieten mit ausgeprägter Nachbarschaftshilfe wird es großen Anklang finden. In städtischen Gebieten fördert es die Vernetzung und stillt das Sozialbedürfnis. Das Crowd-Sourcing-Modell benötigt keine eigenen Lager oder Mitarbeiter und ist daher skalierbar und kosteneffizient. Diversifizierte Einnahmequellen sorgen für finanzielle Stabilität. Die App muss benutzerfreundlich sein und durch Community-Feedback stetig verbessert werden. Das Konzept ist ohne Community tragbar, verliert jedoch seinen Gemeinschaftsgedanken. Neben der Community ist auch die Zusammenarbeit mit Lebensmitteleinzelhändlern und die Einhaltung rechtlicher Verpflichtungen wichtig. Die Verhandlungen müssen profitabel sein, und gesetzliche Anforderungen, insbesondere im Datenschutz und bei der Lebensmittelhandhabung, müssen eingehalten werden.
Zusammenfassend kann Local Fridge Friends den E-Food Markt revolutionieren, benötigt aber genügend finanzielle Mittel und Know-how zur Bewältigung der Herausforderungen.
[1] Vgl. Getir.com: Wir liefern Lebensmittel in Minuten. Online im Internet, Abfrage v. 25.05.24
[2] Vgl. Denise Klug (24.11.23): Flink verkleinert Liefergebiet, Abfrage v. 25.05.24
[3] Vgl. Bofrost.de. Das Bofrost*Einkaufserlebnis, Abfrage v. 25.05.24
[4] Vgl. Denise Klug (08.12.23) dm mischt den E-Food Markt auf, Abfrage v. 25.05.24
[5] Vgl. HelloFresh.de: Lebensmittel liefern, Abfrage v. 25.05.24
[6] Vgl. ostalbkreis.de: Bevölkerung / Flächen, Abfrage v. 24.05.2024
[7] Vgl. ostalbkreis.de: Bevölkerung / Flächen, Abfrage v. 24.05.2024
[8] Vgl. destatis.de (2024): Haushalte nach Haushaltsgröße und Haushaltsmitgliedern, Abfrage v. 24.05.2024
[9] Vgl. Hochstetter, Bernhard (2015): Neues Datenangebot ab Gemeindeebene: Zahl der Haushalte nach Personenzahl, Abfrage v. 24.05.2024
[10] Vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2024): Bevölkerung nach Alters- und Geburtsjahren, Abfrage v. 24.05.2024
Literaturverzeichnis
Bofrost.de: Das Bofrost*Einkaufserlebnis. Online im Internet, https://www.bofrost.de/service/service-bofrost-einkaufserlebnis.html, Abfrage vom 25.05.2024.
Destatis.de (2024): Haushalte nach Haushaltsgröße und Haushaltsmitgliedern. Online im Internet, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Haushalte-Familien/Tabellen/1-2-privathaushalte-bundeslaender.html, vom 02.04.2024, Abfrage vom 24.05.2024.
Getir.com: Wir liefern Lebensmittel in Minuten. Online im Internet, https://getir.com, Abfrage vom 25.05.2024.
HelloFresh.de: Lebensmittel liefern. Online im Internet, https://www.hellofresh.de/essensbox/lebensmittel-liefern, Abfrage vom 25.05.2024.
Hochstetter, Bernhard (2015): Neues Datenangebot ab Gemeindeebene: Zahl der Haushalte nach Personenzahl. Online im Internet, https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/PDF/Beitrag15_11_03.pdf, vom 11.2015, Abfrage vom 24.05.2024.
Klug, Denise (24.11.2023): Flink verkleinert Liefergebiet. Online im Internet, https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/online-handel/quick-commerce-flink-verkleinert-liefergebiet-174739, Abfrage vom 25.05.2024.
Klug, Denise (08.12.2023): dm mischt den E-Food Markt auf. Online im Internet, https://www.lebensmittelzeitung.net/handel/online-handel/omnichannel-strategie-dm-mischt-den-e-food-markt-auf-174989, Abfrage vom 25.05.2024.
Ostalbkreis.de: Bevölkerung / Flächen. Online im Internet, https://www.ostalbkreis.de/sixcms/detail.php?_topnav=38&_sub1=164&_sub2=453&id=463, Abfrage vom 24.05.2024.
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2024): Bevölkerung nach Alters- und Geburtsjahren. Online im Internet, https://www.statistik-bw.de/BevoelkGebiet/Alter/bev_altersjahre.jsp, Abfrage vom 24.05.2024.