LEH

Sind die Bio-Fachmärkte zu retten?

Das veränderte Kaufverhalten der Kund:innen seit dem Ausbruch des Ukraine-Konfliktes, der daraus resultierenden Kostensteigerungen und Inflation haben zu einer Krise des Bio-Fachhandels geführt. Der Bio-Markt konnte insgesamt in den letzten 20 Jahren kontinuierlich Marktanteil gegenüber konventionellen Lebensmitteln gewinnen. V.a. in 2020 und 2021 stieg der Bio-Anteil von 5,7% über 6,4% auf 6,8% am LEH-Umsatz (siehe Abbildung 1):

Abbildung 1: Anteil von Bio-Lebensmitteln am LEH-Umsatz in D von 2010-2021 Quelle: Statista, BÖLW (2022)

In diesen beiden Jahren gewannen die Vollsortimenter (z. B. Edeka und Rewe) jeweils ca. +0,9% Marktanteil v.a. gegenüber dem Discount (-0,8% und -0,6%). In 2022 holen die Discounter jedoch wieder Marktanteile zurück (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Umsatzanteile nach Vertriebsschienen 2019-2021 sowie Jan-Jul 2022 Quelle: LZ, GfK Konsummonitor (2022)

LEH mit 62,3% Marktanteil am Bio-Markt

Der Naturkostfachhandel verliert jedoch seit Jahren Marktanteile im Bio-Markt an den LEH. Der LEH beansprucht bereits einen Marktanteil von 62,3% am Bio-Markt und kann diesen i. d. R. jedes Jahr zu Lasten der Naturkostfachgeschäfte steigern (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Umsatz und Umsatzanteile für Öko-Lebensmittel in Deutschland nach Absatzebenen (2019-2021) Quelle: BÖLW (2022)

Bio-Supermärkte (-17%) und Naturkostläden/Reformhäuser (-39%) mit deutlichen Umsatzverlusten

Die aufgrund des Ukraine-Krieges veränderten Rahmenbedingungen, führten jedoch auch zu einem neuen Kaufverhalten. Auch im Bio-Bereich wechseln die Kund:innen von Hersteller- (-9% bzw. -13%) zu Handelsmarken (+9% bzw. +6%). Es leiden insgesamt v.a. die Reformhäuser/Naturkostläden (-39%), aber auch die Bio-Supermärkte (wie Denns und Alnatura) müssen mit einem deutlichen Umsatzminus (-17%% z. VJ) kämpfen (siehe Abbildung 4):

Abbildung 4: Umsatzentwicklung in % z. VJ (1. HJ 2022) Quelle: Handelsblatt, GfK Consumer Panel; Grafik: Tagesspiegel/Bartel

Verbraucher-, Supermärkte und Discounter buhlen schon lange um die Bio-Kund:innen und dies nun mit großem Erfolg. Die Einführung von Verbandssiegeln wie Bioland bei Lidl und Demeter bei Kaufland (viele weitere Beispiele könnte man aufzählen) haben dazu geführt, dass der Bio-Fachhandel an Profilierung verliert.

Die Sparneigung der Kund:innen wird im Herbst/Winter vermutlich nicht niedriger. Denn nach Beendigung des Tankrabattes, dem Auslaufen des 9€-Ticket, einer weiterhin steigenden Inflation bei Nahrungsmitteln (+14% im Juli) und der Einführung der Gasumlage stehen die Zeichen eher noch auf zusätzlichem Sparen im Alltag. Das 3. Entlastungsprogramm der Bundesregierung wird diese Sparneigung wohl kaum signifikant abschwächen können.

Kann der Bio-Fachhandel überleben? Ja!

  • Die Hersteller von Bio-Fachhandelsmarken sollten ihre selektive Distribution aufrechterhalten und auch weiterhin nur über den Biofachhandel vertreiben. Somit könnte sich der Biofachhandel auch weiterhin im Sortiment von den anderen klassischen Betriebsformen differenzieren.
  • Der Bio-Fachhandel muss seine eine Preiseinstiegsmarke, die preislich und qualitativ mit der Bio-Eigenmarke der Discounter und Vollsortimenter mithalten kann. Darüber hinaus sind Mehrwert-Handelsmarken ebenfalls profilierungssteigernd.
  • Der Bio-Fachhandel muss der Innovationsmotor für nachhaltige Produkte sein.
  • Transparenz und Authentizität sind Werte, die der Bio-Fachhandel glaubwürdiger bei den Kund:innen besetzen kann.
  • Der Biofachhandel benötigt eine weitere Konzentration, um mit den großen Lebensmittelketten mithalten zu können. Dabei ist eine genossenschaftliche Konstruktion – wie bei Edeka und Rewe vermutlich langfristig das erfolgversprechendste Modell.
  • Bio-Fachhandelsketten unter dem Dach von Edeka und/oder Rewe könnten dabei mittelfristig erfolgreicher sein. Die bisherigen Versuche von Rewe unter Temma (nur noch zwei Standorte) und der Start von Edeka unter der Marke Naturkind Bio-Fachmärkte zu etablieren, sind jedoch nicht weiterverfolgt worden (Rewe) oder noch in den ‚Kinderschuhen’ (Edeka mit zwei Naturkind Märkten und 10 Naturkind-Welten in Edeka-Märkte integriert).
    Vielleicht ist jetzt die Zeit die Strategie zu überdenken bzw. zu intensivieren.

Bio und Nachhaltigkeit bleiben für die Kund:innen wichtig und werden das Kaufverhalten in Zukunft wieder stärker prägen. Aber der Bio-Fachhandel muss sich weiterentwickeln und ggf. organisatorisch neu aufstellen, um nicht ‚unter die Räder‘ der klassischen Betriebsformen zu kommen.

Zappka eröffnet ersten Grab & Go Store in Deutschland

Amazon eröffnete im Jahr 2016 den ersten Grab & Go Store in Seattle. Die sogenannte Just Walkout-Technologie ermöglicht durch KI (Bilderkennung), Computer Fusion und Sensor Fusion in den Regalen ein reibungsloses Einkaufserlebnis (‚frictionless shopping‘) für die Kund:innen. Es dauerte einige Jahre bis die Technologie mit weiteren Technologie-Anbietern und Händlern auch in Europa Einzug gehalten hat.

Der polnische Convenience Händler Zappka betreibt mittlerweile 50 Smart Stores 24/7 mit der Grab & Go-Technologie von AIFI in Polen und ist damit Marktführer in Europa. Mit seinem ersten Store im Tesla Werk bei Berlin mit Grab & Go Technologie im August 2022 wagt Zappka den Markteintritt in Deutschland und könnte somit ein disruptives Ereignis für die Grab & Go Technologie in Deutschland sein.

In Deutschland bisher nur 3 Tests

Auch wenn es zurzeit eine sehr dynamische Entwicklung von Smart Store 24/7-Konzepten in Europa gibt, zeigen sich etablierte Händler und Start-ups in der Entwicklung im Bereich der Grab & Go-Konzepte gerade in Deutschland noch sehr zurückhaltend (siehe Abbildung 2).

 

Abb. 2: Eigene Darstellung, Stand: Juli 2022

Bisher werden Grab & Go Stores in Deutschland nur von Rewe in Köln (zweiter Store wird in Berlin z. Zt. umgesetzt), Netto MD in München und auf dem Bildungscampus in Heilbronn (shop.box) betrieben. Diese sind jedoch bisher nur als Tests zu bezeichnen und scheinen von einem Roll-out noch weit entfernt zu sein.

Rewe und Netto MD nutzen die Grab & Go Technologie auch nicht als unbemannte 24/7-Lösung, sondern als eine alternative Zahlungsmethode neben dem normalen Kassen-Checkout und dem Kassen-Selfcheckout (SCO). Beide Stores werden durchgängig mit Personal betrieben und haben auch normale Öffnungszeiten. Die shop.box in Heilbronn hingegen ist ein unbemannter 24/7 Store.

Weitere Tests der Technologie sind von einigen deutschen Händlern jedoch bereits in der Planung:

Der neu eröffnete Kübler Go in Stuttgart funktioniert bisher mithilfe von Kassen-Self-Checkout, hat aber angekündigt, dass während des laufenden Betriebs eine KI angelernt wird und der Store ab Spätsommer 2022 als Grab & Go Store mit der Technologie von Walkout Technologies betrieben werden soll.

Ebenfalls ab Spätsommer 2022 soll der neue Rewe Pick & Go in Berlin mit Trigo-Technologie auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Zudem hat Rewe zusammen mit Lekkerland geplant, einen Grab & Go Store unter der Marke Rewe To Go mit dem Technologie-Partner AIFI zu eröffnen.

In Europa (v.a. UK) bereits über 15 Tests, tlw. bereits im Rollout-Modus

In Europa gibt es noch zahlreiche weitere Tests (siehe Abbildung 3) die zeigen, dass ein Rollout des Grab & Go Konzeptes möglich ist. Neben Zappka in Polen sind auch Boxy in Frankreich (27 Stores) und Amazon Fresh in UK (19 Stores) bereits im Rollout-Modus. Die restlichen Betreiber von Grab & Go Stores befinden sich aber mit jeweils einem oder zwei Stores noch in der Testphase.

Abb. 3: Eigene Darstellung, Stand: Juli 2022

Neben der Vielzahl an Betreibern von Grab & Go Stores ist auch die Zahl der technologischen Anbieter für das Konzept deutlich gewachsen:

AIFI und Trigo sind dabei die am weitesten verbreiteten Anbieter, die jeweils mehr als zwei unterschiedliche Betreiber mit ihrer Technologie ausstatten. 

Warum sind die Händler in Deutschland noch zögerlich?

Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Kund:innen in Deutschland bei der Nutzung und Akzeptanz neuer Technologien zurückhaltender. Daher ist mit einem zügigen Rollout der Betreiber in Deutschland nicht zu rechnen. Die Anzahl an Tests der Konzepte (Kübler Go und Rewe/Lekkerland bereits angekündigt) wird jedoch ansteigen. Der Blick nach England und Polen kann uns dabei zeigen, wo ‚die Reise hingehen‘ kann. Eine spannende Frage ist, ob die Grab & Go Technologie für unbemannte und somit autonome Smart Stores 24/7 genutzt werden wird (Zabka, shop.box) oder eher als eine alternative Zahlungsmethode in bestehenden Märkten (Rewe Pick & Go, Netto MD Pick & Go) eingeführt wird.

Die Durchdringung von neuen technologischen Entwicklungen dauert in Deutschland i. d. R. etwas länger und findet mit zeitlicher Verzögerung statt. But the Future happens also in Germany… sooner or later.

 

 

 

 

Podcast #26 – Stefan Stüwer (‚Mr. Regiomat’) – Verkaufsautomaten neu gedacht

Traditionelle Verkaufsautomaten boomen. Stefan Stüwer hat bereits mehr als 5.000 Regiomaten installiert und erfindet den Automaten immer wieder neu. Im Gespräch mit Prof. Dr. Stephan Rüschen (DHBW Heilbronn) erläutert Stefan Stüwer Innovationen bei Verkaufsautomaten und warum Automaten auch die Emotionen der Kund:innen ansprechen können. 

Das New Normal der Handelskommunikation

Der EHI Marketingmonitor zeigt die sukzessive Budgetumverteilung im Handel für Kommunikation von 70/30 für printbasierte (v.a. Handzettel) vs. additive Werbung (v.a. digitale Kommunikation) in 2007 zu 30/70 in 2021. Die zunächst evolutionäre Entwicklung steht jedoch an einem disruptiven Punkt, denn die Handzettelwerbung könnte mittelfristig zur Disposition stehen. Dennoch senden Händler bis zu 29 Mio. Handzettel pro Woche an Haushalte in Deutschland. Die Veränderung des prozentualen Budgetanteils liegt nicht an der Reduktion der ‚Schweinebauch‘-Werbung, sondern an zusätzlichen Ausgaben (‚On Top‘) für digitale Kommunikationskanäle bei einem konstanten absoluten Budget für Handzettel. In den Corona-Jahren 2020 und 2021 hat dies nochmals deutlich an Dynamik gewonnen. Allerdings werden sich Händler die daraus resultierenden ständig steigenden Kommunikationskosten auf Dauer nicht leisten können.

Für die Veränderung des Kommunikationsbudgets zugunsten digitaler Medien gibt es zwei Gründe:

  1. Relevanz der Handzettel-Werbung vs. Digitaler Werbung:
    Es werden über Handzettel schon lange nicht mehr alle Zielgruppen mit derselben Effektivität erreicht. So nutzen v.a. junge Zielgruppen die klassischen Kommunikationskanäle mit einer deutlich geringeren Intensität: Spotify/Podcasts statt Radio, Netflix/YouTube statt TV, Apps/Instagram & Co statt Zeitung/Handzettel, etc. Mit den sogenannten digitalen Kommunikationskanälen können die Nutzer zielgruppenspezifischer selektiert und mit einer zielgruppenspezifischeren Tonalität angesprochen werden. Händler streben über digitale Medien die personalisierte 1-to-1 Kommunikation an, um zu identifizieren, welche Inhalte in welcher Tonalität auf welchem Kanal für einen Verbraucher relevant sein könnten. Relevanz für den Kunden ist für die Händler die entscheidende Währung in der Kommunikation, um die Aufmerksamkeit der Kunden in einer von Informationen überfluteten Medienwelt zu erreichen.

  2. Messbarkeit:
    Die Effektivität der Handzettel-Werbung lässt sich nur näherungsweise messen, während sich die Nutzungs- und Conversion-Rate von digitalen Medien verlässlicher über Kennzahlen messen lässt. Digitale Medien sind den klassischen Medien auch unter diesem Aspekt überlegen. Somit können Händler und Hersteller den Nutzen ihres Kommunikationsbudgets besser steuern. Weshalb die Werbeweisheit von Henry Ford „Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.“ nur noch bedingt gültig ist.

 

Apps sind der Enabler

Apps sind dabei zusätzlich der Enabler für die Veränderung der Preiskommunikation der Händler. So findet Produkt/Preis-Kommunikation zunehmend nicht mehr nur über die ‚Schweinebauch‘-Werbung statt, sondern über personalisierte Coupons. Das Preisinvest zielt nur auf  diejenigen Produkte ab, auf die ein einzelner Kunde auch reagiert. Der Vorteil solcher Coupons liegt in der Relevanz für den Kunden und der besseren Steuerbarkeit dieser Preiskosten des Händlers. Kundenkarten-Apps, die von fast allen Händlern mittlerweile eingesetzt werden, sind der Träger der personalisierten Preiswerbung und messbarer als ‚Massen‘-Werbung. 

Ausufernde Kommunikationsbudgets

Ausufernde Kommunikationsbudgets werden sich Händler nicht leisten können und werden sie vermutlich auch nicht über Hersteller refinanziert bekommen. Aber 29 Mio. ‚Schweinebauch‘-Handzettel pro Woche und personalisierte Coupons und Instagram und TikTok und Influencer und, und, und…man kann nicht auf allen Kanälen ‚aus allen Rohren schießen‘. Kommunikationsmanagement bedeutet auch, Entscheidungen zu treffen. Sollten Händler sich von der Handzettel-Werbung verbschieden wollen, hätte dies auch signifikante Relevanz für die Hersteller. Denn die Zeit des ‚ich erkaufe mir eine Handzettel-Werbung und die damit verbundenen Zweitplatzierungen über WKZ‘ könnte mittelfristig zu Ende gehen. Die Herausforderung für den Hersteller besteht darin, Bestandteil dieser Handelskommunikation zu sein. Denn diese Kommunikation ist nicht mehr nur Produkt/Preis, sondern häufig eher ‚Story Telling‘ und damit kreativ und aufmerksamkeitserweckend. Ein wichtiger Ansprechpartner für den Handel ist dann nicht mehr unbedingt der Key Accounter, sondern der kreative Trade Marketing Manager des Herstellers. Auch auf der Händler-Seite könnte der Einkäufer als Gesprächspartner bei diesen Themen seine Bedeutung verlieren. Die Marketing-Abteilung gewinnt an Bedeutung.

Händler wiederum werden zunehmend intensiv die digitale Kommunikation zur Generierung von WKZ nutzen, denn Händler lassen sich kommunikative Maßnahmen i.d.R. von Herstellern finanzieren bzw. sogar überfinanzieren. Handel und Hersteller stehen also mitten in einem komplexen Transformationsprozess, an dessen Ende der Handzettel als Kommunikationsmedium verschwinden könnte. Was heute noch undenkbar zu sein scheint, könnte in 5-10 Jahren Wirklichkeit werden, da es die logische Konsequenz der Entwicklung in der Kommunikation darstellt. Auf dieses ‚New Normal‘ in der Kommunikation sollten Hersteller und Handel vorbereitet sein.

 

Podcast #14 – Unverpackt im LEH – Eine Nische mit Potenzial

Prof. Dr. Carsten Kortum (DHBW Heilbronn) stellt die Erkenntnisse seiner Studie zu Unverpackt-Konzepten im LEH dar. Auf Basis einer Kundenbefragung, Experteninterviews und Preistests wurden Erkenntnisse zu Erfolgsfaktoren von Unverpackt-Konzepten ermittelt. Moderation: Prof. Dr. Stephan Rüschen. Die Studie ‚Unverpackt‘ steht als Whitepaper #8 der DHBW Heilbronn unter www.handel-dhbw.de zum Download bereit.

Podcast #13 – Acht Trends im LEH – Facts to know

Prof. Dr. Stephan Rüschen (DHBW Heilbronn) erläutert anhand von Daten und Fakten die Konsequenzen von 8 Trends im Handel (Betriebsformen, Eigenmarken, Kundenkarten, Selfscanning, eFood, Marketing, Bio/Regional/Vegan/Vegetarisch und Nachhaltigkeit. Moderation: Prof. Dr. Carsten Kortum (DHBW Heilbronn). Weitere Informationen zu diesen 8 Trends finden sich auch in dem Whitepaper #11 Acht Trends – Facts to know der DHBW Heilbronn.

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