Handels

Medikamentenmangel – Eine kurze Einführung in die Folgen von Höchstpreisen

von Prof. Dr. Oliver Letzgus
08.05.2023

Deutschland galt einmal als „Apotheke der Welt“. In den letzten Monaten aber häuften sich Meldungen über Engpässe bei Arzneimitteln in deutschen Apotheken. Einmal betraf es Antibiotika, das andere Mal Fiebersäfte für Kinder, das nächste Mal Medikamente für Krebspatienten usw. Als Ursache wurden vor allem Lieferengpässe genannt, da ein Großteil der Arzneimittel inzwischen in China oder Indien produziert wird.

Doch die Ursachen sind komplexer. Dabei lohnt sich ein Blick auf die Leistungsbeziehungen bei verschreibungspflichtigen Medikamenten. Der Arzt stellt ein Rezept aus, der Patient geht mit diesem Rezept zur Apotheke und erhält sein Medikament – abgesehen von einer Zuzahlung von maximal zehn Euro – unentgeltlich. Bezahlt wird die Rechnung in der Regel von der Gesetzlichen Krankenkasse.

Damit haben die Patienten als unmittelbare Nutznießer höchstens ein sehr eingeschränktes Preisbewusstsein beziehungsweise eine begrenzte Preissensibilität. Vor diesem Hintergrund führten Politik und Krankenkassen, letztere sind ja de facto ein monopolistischer Abnehmer der Medikamente (sie zahlen schließlich die Rechnung), verschiedene Preisregulierungen ein, um den aus ihrer Sicht übertriebenen Preissetzungsspielraum der Medikamentenhersteller einzudämmen. Dazu zählen

  • Einheitspreise für rezeptpflichtige Arzneimittel in allen Apotheken.
  • Festbeträge für die Erstattung von Arzneimittenpreisen durch die gesetzlichen Krankenkassen. Medikamente, deren Preis über diesem Festbetrag liegt, werden nur bis zum Festbetrag übernommen. Laut Bundesgesundheitsministerium liegt der Anteil der Festbetragsarzneimittel bei rund 80 Prozent.
  • Bei Arzneimitteln ohne Festbetrag müssen die Pharmaunternehmen den Gesetzlichen Krankenkassen Rabatte auf den Abgabepreis einräumen („Herstellerabschläge“). Bei patentgeschützten Medikamenten liegt dieser bei sieben Prozent. Zudem wurde für diese Arzneimittel ein Preismoratorium bis Ende 2026 festgelegt.
  • Rabattverträge zwischen Pharmaunternehmen und Krankenkassen.

Aus ökonomischer Sicht liegen damit mindestens drei Verstöße gegen die Regeln eines freien Marktes vor. Der Preiswettbewerb zwischen den Apotheken ist ausgeschaltet, die Gesetzlichen Krankenkassen agieren als monopolistischer Nachfrager und vor allem liegen durch die Festbeträge faktisch Preisobergrenzen, sprich Höchstpreise, für Medikamente vor.

Eingriffe des Staates in das freie Spiel der Marktkräfte sind nicht außergewöhnlich und auch nicht verboten. Aus ökonomischer Sicht müssen sie aber einerseits gut begründet sein (z.B. aufgrund von nachweisbarem Marktversagen). Andererseits müssen die möglichen Folgen der staatlichen Marktbeeinflussung beachtet werden.

Damit nähern wir uns aber jetzt dem Kern des Problems der Medikamentenknappheit. Deutschland ist für Pharmaunternehmen kein bevorzugter Verkaufsort. Hersteller verkaufen zunächst stets dort, wo sie die höchsten Preise erzielen können. Wie jeder Student im ersten Semester erfahren hat, führen deshalb Höchstpreise typischerweise dazu, dass die angebotene Menge an dem betreffenden Markt schrumpft, während die nachgefragte Menge zunimmt. Es entsteht ein Nachfrageüberschuss, sprich ein Mangel bei diesem Gut.

Nichts anderes liegt derzeit auf dem deutschen Arzneimittelmarkt vor. Patienten, die von heimischen Apotheken nicht versorgt werden können, sind teilweise gezwungen, sich ihre Medikamente im Ausland zu besorgen, wo solch strenge Höchstpreisregelungen nicht existieren. Dass diese Mangellage gerade in jüngster Zeit eklatant wurde, hat natürlich auch mit den Kostensteigerungen bei den Herstellern zu tun, die diese aufgrund der Festpreise nicht weitergeben können.

Etwas mehr Vertrauen in die Marktkräfte würde auch dem deutschen Medikamentensektor guttun. Die Preise stiegen zwar, dafür verbesserte sich aber die Versorgungslage. Und das dürfte aus Sicht der Patienten zunächst entscheidend sein. Oder frei nach Milton Friedman: „There is no such thing as a free medicine“.

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