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Handels

Bargeld von privater und staatlicher Seite unter Druck – Krisenresilienz wird geschwächt

von Prof. Dr. Oliver Letzgus
04.03.2024

Die wohl wichtigste Grundlage für die Entwicklung der modernen Wirtschaft war die „Erfindung“ des Geldes. Geld ermöglicht einen weitgehend reibungslosen Tausch von Gütern. Dies war die Voraussetzung für die Spezialisierung und Arbeitsteilung: Jedes Wirtschaftssubjekt konnte sich darauf konzentrieren, was es am besten konnte. Die Früchte seiner Arbeit konnte es gegen Geld tauschen und damit andere wertvolle Güter erwerben. Spezialisierung, Arbeitsteilung und Tausch gelten nicht zufällig als ökonomische Voraussetzung unseres heutigen Wohlstands.

Das Tauschmedium Geld gab es zunächst in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen (Muscheln, Perlen, Lebensmittel usw.). Durchgesetzt haben sich schließlich Münzen, zunächst in Form werthaltiger Gold- und Silbermünzen, später in Form stoffwertloser Metallmünzen unter anderem aus Nickel, Zink, Zinn oder Aluminium. Seit dem 17. Jahrhundert gibt es in Europa neben Münzen auch Papiergeld als Barzahlungsmittel. Auch dieses hat keinen inneren Wert, sondern bezieht seinen Wert aus den Gütern, die mit Geldscheinen erworben werden können. Es handelt sich bei modernem Bargeld mithin um ein Vertrauensgut.

Seit dem 19. Jahrhundert etablierte sich parallel zum Bargeld das Giralgeld. Diese auch als Buchgeld bezeichnete Geldart entsteht durch Einzahlung von Bargeld bei einer Geschäftsbank (passive Giralgeldschöpfung) oder durch Kreditvergabe (aktive Giralgeldschöpfung). Über Einlagen bei einer Geschäftsbank kann per Überweisung, via Debitkarte (früher: ec-Karte) oder über verschiedene Formen des Mobile Paying (z.B. Apple Pay) verfügt werden. Rechtlich handelt es sich bei solchen Einlagen um Forderungen der Kunden gegenüber einer Bank. Es ist im Gegensatz zu Bargeld kein gesetzliches Zahlungsmittel.

Giralgeld ist gegenüber Bargeld selbst im traditionell bargeldaffinen Deutschland seit Jahren auf dem Vormarsch. Nach einer Studie der Deutschen Bundesbank (Vgl. Deutsche Bundesbank (2022): Zahlungsverhalten in Deutschland 2021) ist Bargeld – gemessen an der Zahl der Transaktionen – mit einem Anteil von gut 50 Prozent zwar immer noch das am häufigsten genutzte Zahlungsmittel. Sein Umsatzanteil ist indessen auf 30 Prozent gesunken. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie mit dem vermehrten Einkauf im Internet und dem verstärkten Bezahlen mit kontaktlosen Debit- und Kreditkarten hat dazu beigetragen. Als Gründe für bargeldloses Bezahlen werden in Umfragen insbesondere Aspekte wie spontane Zahlungsfähigkeit („man muss sich keine Sorgen machen, ob das Bargeld im Portemonnaie reicht“), Einfachheit, Schnelligkeit, Sicherheit und Ausgabenüberblick genannt. Zusammenfassend könnte man sagen, dass bargeldloses Bezahlen aus Sicht der Nutzer als zusehends bequemer im Vergleich zur Barzahlung angesehen wird. Hinzu kommen geringere Kosten auf Seiten der Geldempfänger, die deswegen ebenfalls bargeldloses Bezahlen bevorzugen und begünstigen.

Allerdings war während der Corona-Zeit ein erstaunliches Phänomen zu beobachten: Obwohl die Bargeldnutzung infolge von Lockdowns und aus Hygienegründen stark rückläufig war, hat die Bargeldnachfrage der Haushalte signifikant zugenommen („Bargeldparadoxon“). Und das hat einen wesentlichen Grund: Geld dient nämlich nicht nur zur Abwicklung von Markttransaktionen, sprich der Bezahlung an der Ladenkasse, sondern auch zur Wertaufbewahrung. Mit anderen Worten, Geld wurde zuhause gehortet, um für das Schlimmste gewappnet zu sein. Dies ist im Übrigen eine Verhaltensweise, die auch in früheren Krisen, beispielsweise der Finanzkrise, zu beobachten war. So komfortabel bargeldloses Bezahlen auch in normalen Zeiten ist, so nützlich erscheint Bargeld vielen als Krisenwährung – als sprichwörtlicher Notgroschen.

Mit wachsendem zeitlichem Abstand zur letzten Krise verblasst die Erinnerung an diese nützliche Funktion des Geldes aber häufig. Gerade in der jungen internetgeprägten Generation scheint analoges Bargeld keine große Bedeutung mehr zu haben. Die unzweifelhaften Vorteile von Bargeld – anonymes Bezahlen, hohes Inklusionsniveau, Unabhängigkeit von technischer Infrastruktur, Vermeidung von Enteignung durch Negativzinsen – treten gegenüber der Bequemlichkeit von Giralgeld in den Hintergrund. Mit dem Rückgang des Barzahlens droht jedoch ein Rückbau der damit verbundenen Infrastruktur (Barzahlungskassen, Bankautomaten, usw.). Zugespitzt heißt das, dass bei zukünftigen Krisen (z.B. länger andauernder Stromausfall, Hackerangriff auf die kritische Infrastruktur, politische Instabilität) das Ausweichen auf Bargeld immer schwieriger wird. Die Gesellschaft verliert an Resilienz.

Jetzt könnte man an jeden einzelnen Bürger appellieren, mehr Bargeld zu nutzen, um dieses Kriseninstrument zu stärken (und auch die anderen mit Bargeld verbundenen Vorteile zu erhalten). Ein solcher Appell hätte vermutlich dieselbe Wirkung wie der Appell an Autofahrer, bei hohen Feinstaubwerten auf die Nutzung des eigenen PKW zu verzichten – nämlich keine, da der individuelle Nutzen deutlich überwiegt und die gesellschaftlichen Kosten im privaten Kalkül keine (nennenswerte) Rolle spielen. Die Existenz von Bargeld hat damit Kollektivgutcharakter: Jeder profitiert potenziell davon, aber niemand ist freiwillig bereit, Kosten für die Bereitstellung zu übernehmen. Nach der Kollektivgütertheorie ist deshalb der Staat für die Zurverfügungstellung verantwortlich.

Wie könnte der Staat in der Praxis die Attraktivität für Barzahlungen erhalten bzw. erhöhen?

  • Regulatorische Stärkung der Rolle als einziges gesetzliches Zahlungsmittel (grundsätzliche Annahmepflicht!).
  • Pflicht zur Erhaltung der Bargeldinfrastruktur und Effizienzsteigerungen im Bargeldkreislauf, sodass die Kostennachteile gegenüber Buchgeld verringert werden.
  • Verwaltungsdienstleistungen grundsätzlich auch analog anbieten.

Mit diesen Maßnahmen sind im Vergleich zu einer „hyperdigitalen Bezahlwelt“ (Deutsche Bundesbank (2024): Perspektiven für das Bargeld, Monatsbericht Januar 2024, S. 31 ff.) Kosten im privaten wie öffentlichen Bereich verbunden. Kosten, die der gesellschaftlichen Widerstandsfähigkeit dienen. Der Staat müsste aus übergeordneten Gründen an der Verbreitung von Bargeld interessiert sein. Allerdings macht er in der Praxis genau das Gegenteil. Er schränkt die Bargeldnutzung unter anderem mit dem Hinweis auf Bekämpfung von Steuervermeidung ein. Exemplarisch seien hier die Abschaffung der 500-Euro-Scheine, Herkunftsnachweise bei Bareinzahlungen, die angestrebte Bargeldobergrenze von 10.000 Euro bei Käufen usw. genannt.

Manchmal erinnert diese Herangehensweise an die Naivität der deutschen Energiepolitik vor 2022. Um an billiges russisches Gas zu gelangen, blies die Regierung – unterstützt von Unternehmen und Haushalten – alle Warnungen vor einer zu einseitigen Importabhängigkeit in den Wind. Auch die Verteidigung von Bargeld ist in einer Welt geopolitischer Krisen essenziell und sollte nicht auf dem Altar kleinlicher fiskalischer Interessen geopfert werden, auch wenn scheinbar alle von einem Zurückdrängen des Bargelds profitierten!

 

PS: Im Auftrag der Deutschen Bundesbank ist jüngst eine sehr lesenswerte Studie mit dem Titel Bargeld der Zukunft (2024) erschienen. Darin werden drei Szenarien für Bargeld bis 2037 vorgestellt. Breiter Raum wird dabei auch dem Handel als wichtigem Akteur im Geldkreislauf eingeräumt. Eine Kurzfassung davon kann auch im Monatsbericht der Deutschen Bundesbank für Januar 2024 (S. 31 ff.) nachgelesen werden.

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