- Der gute alte Handzettel war in diesem Jahr großes Thema unter den Werbungtreibenden. Rewe und Obi haben bekanntlich den Ausstieg angekündigt. Welche Zukunft hat das gedruckte Angebotsprospekt?
Eine High-Low-Preisstrategie mit dem Fokus auf Sonderangeboten und Partievermarktung in Themenwelten kann ohne Kommunikation nicht die volle Wirkung entfalten. Die Werbewirkung lässt sich differenziert nach Werbekanälen relativ einfach messen. Wenn sich gedruckte Handzettel nicht mehr lohnen würden, wären die kostenorientierten Discounter die ersten die den Handzettel einstellen und die sehr hohen Kosten sparen. Es sind aber nicht die Discounter, die hier vorpreschen.
Drogerie Müller und OBI haben 2022 Druck und Verteilung der Handzettel eingestellt. REWE hat dieses angekündigt für 2023. Die Schwarz-Gruppe dagegen investiert in eine Papierfabrik bei Karlsruhe für gedruckte Werbung. Unterschiedlicher kann die Strategie zukünftiger Werbung nicht aussehen. Interessanterweise gilt der REWE Rückzug auch nicht für die Töchter Penny und Toom Baumarkt.
Obi begründet den Ausstieg mit Mehrleistungen für den Kunden über die App und Einsparungen von Ressourcen. Kunden im Kundenlebenszyklus sollen früher und effizienter angesprochen werden. „Print ist kein Kanal der Zukunft“ laut Obi, aber vielleicht doch der Gegenwart? Für die breite Zielgruppe werden traditionelle Medien wie Fernsehen und Radio jedoch weiter genutzt. Dabei kann Fernseh- und Radiowerbung nur die Storebrand promoten oder vereinzelt Produkte, aber nicht wie bisher über 200 Produkte mit attraktiven Preisen.
Anstöße von Franchisenehmern bei Obi mit eigenen Printauflagen zeigen die Diskussionen innerhalb der Handelsgruppen und die Reaktionen von Kaufleuten vor Ort, denen doch immer diese beste Kundennähe zugeschrieben wird. Kurzfristiger und lokaler Werbung fehlt oft noch die Reichweite.
Einzig der Ressourcenverbrauch ist nicht zu diskutieren bei alleine 25 Mio. Handzetteln bei der REWE jede Woche, die nicht mehr gedruckt werden. Und aus Nachhaltigkeitsaspekten ist dieses sehr zu begrüßen und als Argument eigentlich schon ausreichend. Wenn nur der Kunde mitspielt.
In der Vorkaufphase sucht der Kunde nach Informationen mit der Motivation bessere Entscheidungen zu treffen. Kunden müssen entscheiden woher diese Informationen gesammelt werden. Solange dabei noch klassische Werbung gelesen, gesehen und gehört wird, hat diese Relevanz. Ein Verzicht würde auch bedeuten auf klassische Zielgruppen bewusst zu verzichten. Das kann sich ein Händler in der Nische vielleicht noch erlauben, aber nicht einer der Top 5 im LEH.
Bei häufig gekauften Konsumgütern benötigt der Kunde nur eine geringe Kontaktzahl von ein bis zu drei Erinnerungen. Für eine Werbewirkung benötigt es also nicht vieler Kontakte in Zeiten von Informationsüberreizung. Diesen wichtigen ersten Kontakt muss ein Händler erreichen. Die Qualität der Handzettel ist dabei entscheidend, unterscheidet sich aber gravierend. Die Dominanz von Freistellerbildern mit nur der Preisinformation reicht schon lange nicht mehr aus. Die Kunden wollen unterhalten und inspiriert werden. Hier hat der Übergang von informativer Werbung zu hybrider Werbung mit einer Mischung aus animierten Bildern und Freistellern eine höhere Wahrnehmung.
Dabei wird eine größere Anzahl von beworbenen Artikeln von Kunden stets positiv empfunden. Jedoch sinken Wahrnehmung und insbesondere die Erinnerung an beworbene Artikel bei hohen Artikelanzahlen. Auch sind bei vielen Alternativen Kunden zurückhaltend mit ihrer Kaufentscheidung. Werbewochen mit über 100 beworbenen Artikeln sind nach Studien in ihrer Werbewirkung limitiert. Der Aldi Süd Handzettel umfasst über 250 Preise je Woche, der von REWE über 200. Die über 10 Prospekte zum Wochenende im Briefkasten enthalten zusammen zu viele Informationen, die der Kunde kaum verarbeiten kann und will. Ein Kunde will ja auch nicht alle Angebote der Restaurants einer Stadt überfliegen.
Das Consideration Set, welches relevant ist für Kaufentscheidungen, umfasst bei den meisten FMCGs nur 2-5 Produktalternativen. Aber es werden jedoch bisher kaum individualisierte Angebote genutzt. Die Warenkörbe der Kunden sind bekannt und damit auch genutzte und noch nicht genutzte Verbundwirkungen Hier könnte zukünftig die KI einen individualisierten Flyer mit wenigen gezielten Angeboten aus diesem Consideration Set zusammenstellen („recommended deals for you“), der dann per Whatsapp abonniert wird. Oder der digitale Flyer wird sogar ganz entfallen. Amazon und Zalando haben doch auch keinen digitalen Handzettel.
- Welche Entwicklung erwarten Sie mit Blick auf Whatsapp-Angebote und Kundenapps und weitere digitale Möglichkeiten? Wie werben Lebensmittelhändler in fünf Jahren für Ihre Angebote? Wie müssen sich digitale Angebote weiterentwickeln?
68% der Kunden informieren sich hybrid, lesen analog und digital Handelswerbung. Dieses ist auch unabhängig vom Alter. Eine Kurzumfrage bei unseren Studierenden an der DHBW Heilbronn bestätigt dieses, die parallele Nutzung von digitalen und analogen Handzetteln liegt weit vorne. Eine 360 Grad Kommunikation ist folglich notwendig.
Forciert werden dabei von den Händlern die Kundenapps, in denen die digitalen Handzettel integriert sind. Bis auf wenige Händler sind inzwischen digitale Kundenkarten in Form von Apps etabliert. Wenn die digitalen Kundenkarten aber nur zu 30 % genutzt werden derzeit, bedeutet dieses auch dass 70% der Kunden diese Lösung noch nicht akzeptiert haben. Warum ist diese Quote noch so hoch?
Digitale Lösungen werden akzeptiert wenn der Kunden Selbstvertrauen und keine Angst vor der Technologie hat und externe Kontrolle nicht wahrgenommen wird. Es müssen eine gute Ergebnisqualität und spielerisches Vergnügen bei der Nutzung wahrgenommen werden und die Systeme benutzerfreundlich gestaltet sein. Die Wahrnehmung des Nutzens und die einfache Bedienbarkeit ist der Schlüssel für die Nutzungsintention digitaler Handzettel.
Nach einer Nielsenstudie aus 2020 sind 36% der Haushalte Traditionalisten beim Einkauf und mit neuen Technologien nicht zu erreichen. Weitere 7% haben Bedenken beim Schutz ihrer Privatsphäre. Die übrigen 57% sind jedoch offen für Technologien wenn dadurch Zeit gespart wird, Rabatte genutzt werden können, reibungslose Shoppingerlebnisse möglich sind und neueste Trends aufgegriffen werden.
Das Prospekt per Whatsapp am Sonntag aufs Handy greift diese neuesten Trends auf und ist natürlich sehr bequem. Die Bedienerfreundlichkeit auf dem Smartphone-Bildschirm ist aber gering. Die Kontaktqualität beim Handzetteldurchblättern ist eine andere. Der Obi Handzettel umfasst 16 Seiten, bei Lidl 30 Seiten. Mobil ist das Durchblättern auf dem Smartphonebildschirm auf 6,7 Zoll jedoch sehr mühsam. Bis zu 12 Artikel mit dann 12 Preisen sind bei Lidl auf einer Seite im Handzettel, das ist digital schon sehr schlecht zu lesen.
Der digitale Handzettel muss einen Zusatznutzen gegenüber dem analogen bieten. Eine reine 1:1 Übertragung auf den Smartphonebildschirm wird dafür nicht ausreichen bei vielen Zielgruppen. Es braucht Benefits in der Handelswerbung. Coupons, Empfehlungen, Kochrezepte, Partnervorteile sind neben dem digitalen Handzettel gängige Features und Benefits von digitalen Kundenkarten. Rabatte und Klebepunkte werden digital gesammelt und dann auch eingelöst. Auch werden inzwischen Daten von Dritten genutzt wie die beste Einkaufzeit aus Google-Echtzeitdaten. Auch wird oft angeführt, Vergleiche sind gedruckt immer noch besser möglich. Dieses ermöglich jedoch auch Plattformen wie prospektangebote.de, kaufda.de, onlineprospekt.de und viel andere mit bis zu 350 Prospekten online. Damit sind die möglichen Benefits aber noch nicht ausgereizt.
Die Qualität der Handzettel unterscheidet sich gravierend. Die Dominanz von Freistellerbildern mit nur der Preisinformation reicht schon lange nicht mehr aus. Die Kunden wollen unterhalten und inspiriert werden. Hier hat der Übergang von informativer Werbung zu hybrider Werbung mit einer Mischung aus animierten Bildern und Freistellern eine höhere Wahrnehmung. Digital reicht alleine nicht aus, es muss auch der Content ansprechend und emotional gestaltet sein.
„Exklusiv für Dich“ und „Dauerhaft im Sortiment“ das günstige Eigenmarkenwasser in der Kundenapp zu offerieren ist nicht unbedingt eine kreative Lösung und zeigt auch nicht die Sortimentsleistung eines Händlers. Aldi dagegen wünscht bei der WhatsApp-Zusendung des Prospektes „Viel Spaß beim Blättern!“. Das passt schon einmal vom Mindset. Handelswerbung muss Spaß bringen.
Baumärkte ermöglichen Beratung per Nachricht oder live mit Rückruf durch Experten. Auch wenn FMCGs nicht immer beratungsintensiv sind, zumindest bei Nonfood-Aktionen und auch zu Themen wie Nachhaltigkeit ist das Involvement und damit das Interesse an Informationen auch im LEH gegeben. Handelswerbung muss interaktiver werden.
Bei den Apps kann Feedback zu den Apps gegeben werden, jedoch nicht zu Produkten eines Händlers. Im Internethandel kann jeder Kunde relativ leicht Feedback zu den Produkten geben, im stationären Handel bisher noch nicht. Kunden vertrauen aber Informationen von Unternehmen weniger als denen von anderen Konsumenten. Handelswerbung der Zukunft muss die Expertise von Dritten sichtbar machen.
Bei Aktionswaren könnten Händler aus dem Klickraten und Verweildauern von Kunden bei digitalen Handzetteln auf den Abverkauf schließen und damit die Zuteilungsmengen besser steuern. Die Warenverfügbarkeit für den Kunden und damit der Abverkauf werden dadurch optimiert. Ein großer Benefit digitaler Handelswerbung.
- Zusammenfassend: was setzt sich durch? Analog oder digital?
Mein Fazit: Moderne interaktive Handelswerbung muss den Kunden individuell da ansprechen wo dieser Informationen sucht und gerne aufnimmt. Dem Kunden Kanäle aufzuzwingen wäre fatal. Die meisten Kunden im LEH kaufen hybrid, kaufen beim Discounter und Supermarkt, kaufen Hersteller- und Handelsmarke, bio und konventionell und lesen auch zukünftig digitale und analoge Handzettel.