Suche
Close this search box.

Handels

GenZ und die Ökonomie der Work-Life-Balance

von Prof. Dr. Oliver Letzgus
06.05.2024

Der Generation Z wird unterstellt, sie sei im Vergleich zu ihren Vorgängergenerationen mehr an Freizeit und weniger an Erwerbsarbeit interessiert. Sie achte vor allem auf eine ausgewogene Work-Life-Balance und würde weniger Zeit im Büro verbringen. Einmal angenommen, diese These (oder dieses Vorurteil?) stimme. Dann ist aus ökonomischer Sicht daran zunächst nichts auszusetzen, handelt es sich doch um eine individuelle Entscheidung zwischen Arbeit und Freizeit. Wenn die Freizeit individuell höher bewertet wird als Arbeit (und der damit erzielte Lohn), dann nimmt der persönliche Nutzen zu – und das ist der alleinige Maßstab in einer Gesellschaft, die dem Individuum und seinen Bedürfnissen eine Vorrangstellung einräumt.

Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Mit der Frage konfrontiert, ob man für ein Entgelt von 20 Euro eine Überstunde machen möchte, wird derjenige Ja sagen, dem dieser Betrag mehr wert ist als eine Stunde Freizeit. Ablehnen werden hingegen diejenigen, denen eine Stunde Freizeit mehr wert ist als ein Geldbetrag von 20 Euro. Jeder wird die für ihn persönlich attraktivere Variante wählen. Damit könnte man die Überlegungen abschließen und der Generation Z zu ihrer individuell nutzenmaximierenden Strategie gratulieren.

Allerdings hat die Sache einen Haken. Obwohl beide – also sowohl derjenige, der die Erwerbsarbeit wählt als auch derjenige, der für Freizeit votiert – einen vergleichbaren Nutzen aus ihrer Entscheidung ziehen, wird nur einer von ihnen zur Finanzierung öffentlicher Leistungen herangezogen. Während Erwerbsarbeit besteuert (und eventuell zusätzlich mit Sozialabgaben belegt) wird, ist Freizeit steuer- und abgabenfrei. Im Falle der Überstunde verbleiben bei einer Steuer- und Abgabenquote von 50 Prozent im obigen Beispiel nur noch 10 Euro, während der Müßiggänger das Gut Freizeit ungeschmälert konsumieren kann.

Dies ist solange kein Problem, wie es im öffentlichen Sektor eine Verbindung zwischen individueller Zahlung und empfangener Leistung gibt. Ein Beispiel: Wenn die Generation Z aufgrund ihrer Freizeitpräferenz weniger Rentenbeiträge im Laufe ihrer aktiven Zeit bezahlt, fallen die Rentenzahlungen im Alter geringer aus. Damit sind die Folgen der eigenen Entscheidung selbst zu tragen, was durchaus im Sinne selbstverantwortlichen Handelns ist.

Allerdings gibt es nur bei wenigen staatlichen Leistungen eine solche Äquivalenz zwischen Beitragszahlung und empfangener Leistung. Nehmen wir die Gesetzliche Krankenversicherung: Unabhängig von der absoluten Höhe der Krankenversicherungsbeiträge erhältlich jeder gesetzlich Versicherte dieselben Leistungen. Um es noch präziser zu formulieren: Menschen mit höherem Lohn finanzieren diejenigen mit geringerem Lohn mit. Wenn sich mehr Menschen für Freizeit statt für Erwerbsarbeit entscheiden, fehlt es hier an Geld. Um dem Äquivalenzgedanken Rechnung zu tragen, müsste die Gesetzliche Krankenversicherung abgeschafft und durch ein System privater Krankenversicherungen ersetzt werden. Dann wäre der Krankenversicherungsschutz eine private Angelegenheit mit individueller Verantwortung.

Noch viel ausgeprägter ist dieses Problem im Zusammenhang mit steuerfinanzierten öffentlichen Leistungen. Hier gibt es qua Gesetz überhaupt keine Verbindung zwischen Höhe der individuellen Steuerzahlung und dem Anspruch auf staatliche Leistungen. Alle Steuereinnahmen des Staates fließen in einen großen Topf, woraus die staatlichen Aufgaben finanziert werden. Entscheidet sich die Generation Z für mehr Freizeit anstelle bezahlter Arbeit, wird der Topfinhalt kleiner und die staatlichen Ausgaben müssen gekürzt werden, also die Aufwendungen für Verteidigung, für den Sozialstaat, für Bildung oder für die öffentliche Infrastruktur. Ein Aufweichen der Schuldenbremse kann höchsten für kurzfristige Linderung sorgen, langfristig würden die Probleme aufgrund des höheren Schuldendienstes sogar noch größer.

Wie kann dieses Dilemma, dass einerseits die staatlichen Einnahmen aufgrund weniger gewollter Erwerbsarbeit der GenZ zurückgehen, andererseits die Ansprüche an den Staat tendenziell eher zunehmen, gelöst werden? Hier zwei (zugegeben) unkonventionelle Vorschläge:

  • Ersatz der heutigen Einkommensteuer durch eine Pauschalsteuer gleichen Aufkommens: Bei gegenwärtigen Einkommensteuereinnahmen von rund 350 Mrd. Euro und 45 Mio. Erwerbsfähigen müsste jeder von Ihnen einen Pauschalbetrag („Kopfsteuer“) von knapp 8.000 Euro pro Jahr bezahlen. Alle weiteren steuerlichen Belastungen des Einkommens entfielen. Nach Bezahlung des Pauschalbetrages könnte jeder frei entscheiden, ob er stärker auf bezahlte Arbeit setzt oder einen größeren Teil seiner Zeit für Freizeitaktivitäten verwendet. Die steuerliche Verzerrung zuungunsten der Arbeit entfiele.
  • Gleichmäßigere Besteuerung von Arbeit und Freizeit: Die gegenwärtige Einkommensteuer ist so konzipiert, dass der Ertrag einer Stunde Arbeit, der Lohn, belastet wird, während der Nutzen einer Stunde Freizeit steuerfrei bleibt, weil keine besteuerbaren Einkünfte entstehen. Freizeit ist praktisch nicht besteuerbar. Um die Diskriminierung der Arbeitszeit jedoch zu verringern, wäre es denkbar, den Konsum freizeitkomplementärer Güter (Besuch von Fitnessstudios, Surfbretter, Streaming-Dienste, usw.) steuerlich stärker zu belasten und mit den Einnahmen die Lohnsteuer zu verringern. Der Anreiz für Mehrarbeit nähme zu, der Freizeitkonsum verteuerte sich.

Fazit: Die vorangegangenen Überlegungen zeigen, dass die aus individueller Sicht nachvollziehbare Entscheidung für mehr Freizeit mit einem auf sozialen Ausgleich abzielenden gesellschaftlichen System kollidieren. Die Lösung könnte einerseits darin bestehen, dass staatliche Leistungen konsequent verringert werden (und ersetzt würden durch preisähnliche Benutzergebühren wie z.B. Studien- und Schulgebühren, Straßenmaut, private Versicherungen anstatt Sozialversicherungen usw.) und damit die Notwendigkeit für die Erzielung von Steuern auf Erwerbsarbeit an Bedeutung verlöre. Andererseits wäre es denkbar, wie oben anhand der Beispiele skizziert, die gegenwärtige Verzerrungen im Steuersystem zulasten von Arbeit und zugunsten von Freizeit zu verringern. Eines ist jedenfalls sicher: Mit einem signifikanten Rückgang der Erwerbsarbeit lässt sich das Niveau staatlicher Leistungen nicht aufrechterhalten.

Die neusten Studien

Band21 Shadow

Band 21

Kriterien der Einkaufsstättenwahl in der DIY-Branche. Eine empirische Untersuchung zum Konsumentenverhalten in der Baumarktbranche.

Maximilian Timm, Carsten Kortum

Oktober 2023

Band20 Shadow

Band 20

Kundenreaktion auf Out-of-Stock von Food- und Nonfood- Aktionsartikeln bei verschiedenen Betriebstypen im Lebensmitteleinzelhandel

Marcel Gimmy, Prof. Dr. Carsten Kortum

Mai 2023

Titel Band 19 Homepage Neu

Band 19

Klimaneutralität im deutschen LEH
Diskussionsbeitrag auf Basis von acht Experteninterviews

Alesia Kehl, Stephan Rüschen

November 2022

Die neusten Whitepaper

Nr. 31
Chancen und Herausforderungen von Licensing im Handel – eine empirische Analyse der Einschätzungen von Entscheidern
Carsten Kortum, Tassilo Zimmermann
Juni 2024
Nr. 30
Markenbekanntheit und Markenrelevanz von Hersteller- und Eigenmarken bei der Kaufentscheidung im LEH – eine empirische Analyse
Carsten Leo Demming, Carsten Kortum
Mai 2024
Nr. 29
Kernaussagen des Retail Innovation Days Special 2023: ‘Smart Stores 24/7 – Autonom in die Zukunft?’
Stephan Rüschen, Julia Schumacher
März 2024

Die neusten Blogbeiträge

Nettoschulden von REWE steigen auf über 16 Milliarden Euro, ist das wirklich ein Problem?

von Prof. Dr. Carsten Kortum

Kaufland Rumänien: Ein Vorbild für Engagement und Nachhaltigkeit

von Kurs HD23B13

Eine Einführung in die qualitative Forschung

von Prof. Dr. Michel Mann

Frankreich vor der Wahl: Droht eine neue Euro-Krise?

von Prof. Oliver Letzgus

ALDI SÜD führt 1:0 und wo bleibt die Reaktion?

von Prof. Dr. Carsten Kortum